065 - Überfallkommando
meistens auch gar nicht darum, daß Sie die Pakete transportieren. Sie sind mir in mancher anderen Weise sehr nützlich, Ann. Es gibt so wenig Leute, denen ich restlos vertrauen kann. Sie kennen mich doch, ich bin Ihnen gegenüber immer offen gewesen. Schmuggel wird vor dem Gericht ebenso angesehen wie Diebstahl. Ich will nicht behaupten, daß das nicht so ist. Ich überlasse Ihnen die Entscheidung -«
»Natürlich, Mark«, sagte sie beschämt. »Der arme Ronnie machte sich strafbar, und ich tue es auch. Glauben Sie bitte nicht, daß ich meine Tätigkeit bereue - im Gegenteil, ich bin stolz darauf!«
Sie war auch stolz darauf, aber - Er hatte ihre Frage nicht genau beantwortet. Bevor sie jedoch weitersprechen konnte, hörte sie das schrille Klingelzeichen des Haustelefons. Mark ging zum Apparat, der in einem anderen Raum stand. Mit dem Portier hatte er ein Abkommen getroffen, daß ihm jeder ungewöhnliche Besucher telefonisch angemeldet werden sollte. Seine Dienstboten verließen nach dem Abendessen das Haus, und die Tätigkeit des Portiers ersparte Mark manchen nutzlosen Gang zur Tür.
Ann hörte seine kurze Antwort.
»Es ist gut, lassen Sie ihn herein.«
Mark kam zurück und ging an seinen Schreibtisch. Dort waren zwei Messinggriffe angebracht, die ähnlich wie Lichtschalter aussahen. Als er hörte, daß jemand an die äußere Tür klopfte, drehte er den einen um, und sobald die Schritte des Fremden im Gang zu hören waren, drehte er ihn wieder zurück.
»Herein!« antwortete er auf das laute Klopfen. Der Mann, der eintrat, mochte sechzig oder auch siebzig Jahre alt sein. Er hatte einen kahlen, glänzenden Kopf, der wie poliert aussah. Sein Bart war schneeweiß und reichte bis zur Weste hinunter.
»Was wollen Sie?« fragte Mark kurz.
Mr. Philip Sedeman legte seinen Hut auf einen Stuhl.
»Das Oberhaupt unserer kleinen Gemeinde ist krank geworden. Es ist eigentlich nichts Besonderes, aber die Insassen der Herberge, die doch so gutmütige Kerle sind, wollten -«
»Was fehlt ihm denn?« fragte Mark schnell.
»- daß ich unseren hohen Patron aufsuche und ihm die Nachricht überbringe«, fuhr der alte Mann fort, als ob er überhaupt nicht unterbrochen worden wäre.
»Seit wann ist er denn krank?«
Mr. Sedeman schaute zur Decke empor.
»Es mögen einige Minuten vergangen sein, bevor ich mich erbot, Sie aufzusuchen. Die Auslagen für Autobusfahrten sind beträchtlich; aber darüber wollen wir nicht weiter sprechen. Ein Mann von meiner Erfahrung spricht ebensowenig über so kleine Beträge wie ein Mann von Ihrer Stellung und Erziehung.«
»Was ist denn eigentlich mit Tiser los?« Mark schaute den alten Mann nicht sehr freundlich an.
Mr. Sedeman sah wieder zur Decke empor, als ob er dort die Antwort lesen könne.
»Ein wenig mitfühlender Mensch, wie es ja viele gibt, würde die Krankheitssymptome zusammenfassend als Delirium tremens bezeichnen«, sagte er dann ernst. »Persönlich kommt es mir vor, als ob er sich bombenmäßig eingeseift hätte.«
»Eingeseift?« wiederholte Ann verwundert.
»Ja, er ist mordsmäßig besoffen«, erklärte Sedeman höflich. »Er hat in der letzten Zeit wirklich zuviel geschmettert. Ich war nur im Zweifel, ob ich zu Ihnen kommen oder ob ich die junge Dame aufsuchen sollte, die mit ihm geht.«
»Es ist schon gut«, sagte Mark rauh. »Ich werde später hinkommen.« Er ging zur Tür und öffnete sie.
Mr. Sedeman nahm seinen Hut, strich ihn sorgfältig glatt, fuhr dann mit der Hand durch seinen weißen, langwallenden Bart und seufzte.
»Meine Auslagen, wenn ich nicht von meinem Zeitverlust reden will -«, sagte er leise.
Mark nahm ein Silberstück aus der Tasche und warf es ihm zu. Der alte Mann zeigte sich nicht im mindesten beleidigt, machte eine tadellose Verbeugung vor Ann Ferryman und schritt gravitätisch zur Tür. Dort wandte er sich noch einmal um.
»Der Himmel segne Ihren Eingang und Ihren Ausgang, holde Blume«, sagte er dann poetisch.
»Wer war denn das«, fragte Ann, als Mark ins Zimmer zurückkam, nachdem er seinen Besucher bis zur Haustür begleitet hatte.
»Ist Mr. Tiser wirklich sehr krank?«
»Ich weiß es nicht und kümmere mich auch wenig darum«, entgegnete Mark achselzuckend.
Dann trat er in sein Schlafzimmer, und sie hörte, wie er am Telefon eine Nummer wählte. Er ging wieder zurück und schloß die Tür. Das war ungewöhnlich, denn Ann hatte bisher geglaubt, daß er keine Geheimnisse vor ihr habe. Und doch hatte er diese Vorsichtsmaßregel heute
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