065 - Überfallkommando
nahm Tiser am Arm.
»Nun sei ruhig. Du mußt einen kleinen Schluck nehmen, dann wird dir wieder besser. Sie haben doch nichts dagegen, daß wir Sie einen Augenblick allein lassen, Ann?«
Sie schüttelte den Kopf. Aber sie bereute ihre Zustimmung sofort, als sie sich schließlich allein in dem Raum befand. Selbst die Anwesenheit Marks war noch dieser trostlosen Einsamkeit vorzuziehen. Sie hatte das Gefühl, als ob große Augen aus dem Dunkel auf sie starrten. Von unten hörte sie das Plätschern des Wassers und das Krachen der Pfosten. Der Wind hatte sich erhoben und fuhr ächzend und stöhnend um das Haus. Und plötzlich erlebte sie wieder, was sie schon einmal erlebt hatte - das Licht ging aus. Die Falltür öffnet sich, und Kopf und Schultern Li Yosephs tauchten auf.
Ann schrak zurück und lehnte sich an die Wand, als er alte Mann heraufstieg. Diesmal konnte sie sein Gesicht deutlich in dem Licht der Laterne sehen, die er trug. Die Falltür schloß sich wieder, und der Alte verschwand in dem kleinen Schlafraum. Gleich darauf ging das Licht wieder an. Im selben Augenblick traten auch Mark und Tiser ein.
»Es ist kein Korkenzieher in der Küche - ist etwas passiert?« fragte Mark schnell, als er sah, daß Ann zitternd und halb ohnmächtig an der Wand lehnte. Anns Lippen waren trocken.
»Li Yoseph ist gekommen«, sagte sie atemlos.
Sie zeigte auf die Falltür.
»Von dort her?«
»Ja - er ist in sein kleines Zimmer gegangen.«
Mark wandte sich schnell dorthin.
»Haben Sie sich auch nicht getäuscht, liebe Miss?« fragte Tiser bebend vor Angst. »Ist es nicht nur eine Einbildung? Warum sollte er denn gerade von dort unten kommen?«
»Hier habe ich eine Tür gefunden«, hörten sie Marks Stimme, »direkt hinter dem Bett. Ich habe sie früher nie gesehen. Ich wundere mich nur, was ...«
Er wurde durch den Klang einer Violine unterbrochen. Die Töne kamen näher und näher, und plötzlich erschien Li Yoseph. Er ging zum Fenster und setzte sich dort auf seinen alten Platz. Sein Bogen bewegte sich nach dem Takt über die Saiten.
»Mein Gott!« Tisers Zähne klapperten. »Er ist es wirklich!«
Mark schüttelte ihn von sich ab.
»Ruhe«, sagte er.
Der Alte legte die Geige aus der Hand.
»Li - Mark spricht jetzt mit dir«, sagte Mark freundlich. »Geht es dir gut, Li?«
Der alte Mann stand auf, kam langsam näher und sah ihn an, als ob er kurzsichtig wäre.
»Es ist doch komisch, daß du mich fragst.« Er kicherte heiser.
»Ja, mir geht's ganz gut - mir geht's ganz gut. Ja, mein lieber Mark . denkst du noch immer an den armen, alten Li?« Dann drehte er sich um und sprach leise zu den Kindern, die ihn begleiteten. »Nun, Heinrich und Peter, ihr müßt jetzt zu Bett gehen. Um diese Zeit dürfen kleine Kinder nicht mehr auf sein ... husch, husch, husch! Also gute Nacht!« Er winkte ihnen zu.
»Er hat immer noch die verrückten Manieren«, sagte Mark leise.
»Li, Miss Ferryman ist auch hier. Li, hörst du? - Ronnies Schwester.«
Li nickte.
»Ich kann sie ganz gut sehen. Sie fürchtet sich nicht vor mir?«
»Ich bin auch da, Li«, sagte Tiser mit schriller Stimme.
»Kennst du mich noch - den lieben, guten Tiser?«
Aber Li schien sich nicht um ihn zu kümmern, er ging zu dem Schrank an der Wand, nahm eine Flasche und ein Glas heraus und setzte sich behutsam auf eine umgedrehte Kiste.
»Warum sollten wir denn heute um elf hier sein?« fragte Mark.
»Kommt Bradley auch? Was willst du mit dem Wein?«
»Der ist für ihn«, sagte Li und nickte vor sich hin.
»Wen meinen Sie denn, Li Yoseph?« fragte Ann, die ihre Stimme kaum in der Gewalt hatte.
Der Alte schaute sie seltsam an, und sie glaubte einen traurigen Ausdruck in seinen Augen zu sehen.
»Sie werden mir nicht böse sein, wenn ich es Ihnen sage?«
»Für Ronnie?« fragte sie.
Der Alte nickte.
»Was soll denn das heißen, du verrückter Narr?« fuhr Mark auf.
»Ja, für ihn«, wiederholte Li Yoseph. »Er kommt jede Nacht.«
»Jede Nacht?« Mark lachte laut auf. »Du bist doch ein ganzes Jahr lang nicht mehr hier gewesen.«
Mark sah Li zum erstenmal lächeln; es war ein abstoßender Anblick.
»Das denkst du, aber ich bin doch hier gewesen.«
Je länger die seltsame Unterhaltung dauerte, desto aufgeregter wurde Tiser.
»Ich kann das nicht mehr aushalten! Ach Gott, das ist zuviel! Ronnie ist tot, Li - er kann doch nicht herkommen ...«
»Jede Nacht kommt er«, sagte der Alte feierlich. »Er geht die Treppe herauf und kommt in dieses Zimmer.
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