0659 - Die indische Rache
nicht.
Erst an der Haustür atmeten wir auf. Helen schaute mich besorgt an, so daß ich fragte: »Was haben Sie?«
»Das möchte ich Sie fragen, John. Ihr Gesicht glänzte, als wäre es eingeölt worden.«
»Das ist die Anstrengung.«
Sehr ernst wirkte sie, als sie sagte: »In Ihrer Haut möchte ich nicht stecken. Wenn ich mir vorstelle, daß es mir so erging und ich jetzt noch irgendwelche Feinde jagen müßte…«, sie hob die Schultern und schüttelte sich. »Nein, das ist nichts für mich.«
»Man gewöhnt sich daran.«
Helen hatte ihren Koffer wieder an sich genommen und öffnete mir die Haustür. Das Wetter hatte sich verändert. Die graue Decke am Himmel war nicht mehr vorhanden. Eine blaue Fläche spannte sich über London, durchzogen von blassen Wolkenstreifen, die aussahen, als wären sie ausgezupft worden.
Die Sonne stand ziemlich tief, sie blendete.
Unsere beiden Wagen waren die einzigen Fahrzeuge, die vor dem Haus parkten. Zum einen der rote Corsa Swing, zum anderen mein Rover.
»Es bleibt dabei, Helen, wir werden mit meinem fahren. Lassen Sie den Corsa hier…«
Er zerplatzte.
Ja, er zerplatzte vor unseren Augen. Er ging auf wie eine Frucht, die von innen her einen zu großen Druck bekommen hatte. Plötzlich war nichts mehr so, wie es eigentlich hätte sein müssen, denn aus dem Wrack schoß eine Feuersäule hoch, eingehüllt in schwarze Rauchschwaden, begleitet von einem donnernden Krachen und der Druckwelle, die auch uns erfaßte und wieder in den Flur hineinschleuderte.
Wer über wen fiel, weiß ich nicht mehr. Ich dachte nur daran, daß der verdammte Wagen in die Luft geflogen war und wunderte mich darüber, daß Sira mit Mafiamethoden arbeitete.
Im nächsten Moment allerdings gingen bei mir die Lichter aus…
Chiefinspektor Tanner und seine Mannschaft hatten die grobe Arbeit hinter sich gebracht, und die Presse war verscheucht worden. Jetzt liefen die Telefone in den Redaktionen heiß. Jeder wollte als erster mit der großen Story herausrücken.
Ärger hatte es noch um die Leiche gegeben. Die Begleiter des Gurus hatten nicht zulassen wollen, daß sie abtransportiert wurde, aber Tanner ließ sich davon nicht abbringen.
»Wir sind hier nicht in Indien und auch nicht auf einer Seelenfarm«, hatte er ihnen erklärt. »Hier geschieht eben das, was ich anordne. Wer dagegen ist, kann sich ja beschweren.«
Die Jünger hatten nicht widersprochen, ihn nur starr angeschaut. Sie waren geblieben, stumme Beobachter, die alles sehr genau unter Kontrolle halten wollten.
Und auch Suko war geblieben. Nicht weil es ihm Spaß machte, er wollte eine Spur aufnehmen, und die konnte ihm seiner Meinung nach nur von den Jüngern des Gurus gezeigt werden. Er mußte es nur schaffen, sie aus der Reserve zu locken.
»Dein Freund John scheint es lange auszuhalten«, sagte Tanner zum Abschluß.
Suko hob die Schultern. »Ich weiß auch nicht, was es ist.«
Tanner drückte den Hut zurück. »Falls er sich meldet, laß es mich wissen. Der Fall interessiert mich brennend. Besonders Geistermörder haben es mir angetan.«
»Uns auch.«
Tanner tippte gegen die Krempe, sammelte mit lautstarken Worten seine Leute ein und verschwand.
Die sechs Jünger des toten Gurus standen beisammen und unterhielten sich flüsternd. Suko störte nicht gern, in diesem Fall jedoch mußte es einfach sein.
Als er neben ihnen stehenblieb, verstummten die Gespräche. Die Männer waren gleich gekleidet.
Ihre dunkelroten Gewänder zeigten einen sehr weiten Schnitt, so daß sie unter dem Stoff einiges verbergen konnten. Um die Taille hatten sie schlichte Kordeln geschlungen. Einer von ihnen, er trug eine randlose Brille, ließ ein kleines, in Leder gebundenes Buch in den Falten seines Gewands verschwinden, als er Suko entgegentrat.
Der Inspektor stellte sich vor. Instinktiv hatte er erkannt, daß es sich bei dem Brillenträger um einen der Anführer oder Nachfolger des großen Gurus handelte.
»Wir wissen, daß du bei der Polizei bist.«
»Das wundert euch?«
»Bei dir zumindest. Du stammst aus Asien. Du gehörst zum Reich der Mitte, aber wir akzeptieren deine Aufgabe, die du in der Fremde übernommen hast. Human Lohare kam, um den Frieden zu bringen, aber er wurde brutal ermordet. Man hat oft genug von der westlichen Dekadenz gesprochen. Hier mußten wir sie erleben. Es ist nicht gelogen.«
»Das weiß ich alles«, sagte Suko. Er schaute dem Mann, der sich ihm mit dem Namen Singk vorgestellt hatte, fest in die Augen. »Mein Freund
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