0659 - Die indische Rache
es geschafft, von der Intensivstation wegzukommen.
Auch Glenda Perkins nicht. Ihr galt Schwester Bettys große Sorge. Sie mochte die junge Frau, deren Leben noch immer auf der Kippe stand. Sie schwebte zwischen dem Diesseits und dem Jenseits, und jeder hoffte, daß sie zur richtigen Seite hin abkippte.
Gegen Mittag legte Betty eine kurze Pause ein. Im Arztzimmer ließ sie sich nieder und schaute auf die Monitore. Ihre Kleidung bestand aus einer weißen Hose und einem weißen Kittel. Das schon grau gewordene Haar verbarg eine Haube.
Vor sich hatte sie eine große Tasse mit Kaffee gefüllt. Zwei Äpfel hatte sie bereits gegessen, denn Mahlzeiten mit übermäßig viel Kalorien nahm sie nicht zu sich.
Auf den Monitoren konnte sie verschiedene Körperfunktionen ablesen. Bei Glenda Perkins war beides sehr schwach und zitternd. Wer auf ihren Monitor schaute, kam sich vor wie auf dem Sprung stehend.
Ein Arzt betrat das Zimmer. Es war Doktor Clement, ein Mann, der in Germany geboren war, allerdings schon seit zehn Jahren im Hospital arbeitete und es einfach nicht mehr schaffte, in seine alte Heimat zu kommen. Er sah aus wie ein trauriger Seehund, hatte ein dickes Gesicht, und auf der Oberlippe wuchs ein Bart, der an den Mundwinkeln traurig nach unten hing. Sein schwarzes Haar klebte am Kopf. Es war streng nach hinten gekämmt worden.
Betty wußte, daß Dr. Clement eine schwere Operation hinter sich hatte und etwas Ruhe brauchte.
»Einen Kaffee?«
Dr. Clement nickte. Er hatte seine Hände gegen die Wangen gelegt und stierte auf die helle Tischplatte. »Ja, den könnte ich brauchen. Es war schlimm.«
»Schafft der Patient es?«
»Keine Ahnung.«
Betty schenkte ihm eine Tasse ein, die er dankbar entgegennahm, sie mit beiden Händen festhielt und die braune Brühe in kleinen Schlucken genoß.
»Manchmal möchte ich alles schmeißen, Betty.«
»Fragen Sie mich mal.«
»Sie machen die Arbeit noch länger.«
»Und komme nicht raus. Ebenso wie Sie.«
Er stellte die Tasse ab und streckte die Beine aus. »Das ist eben unser Problem. Aber wollen wir auch raus, wenn wir ehrlich gegenüber uns selbst sind?«
Betty lächelte. »Nein, im Prinzip nicht. Trotz der Hektik bringt es mir noch immer Befriedigung, wenn ich sehe, daß wir anderen Menschen helfen können.«
»Das ist es eben.«
»Wie lange bleiben Sie, Doktor?«
Er schaute auf die Uhr. »Wenn möglich, eine halbe Stunde. Dann muß ich mich für die Visite vorbereiten.«
»Gut, ich gehe dann.«
»Und wohin?«
»Glenda Perkins. Ich möchte noch persönlich nach ihr schauen. Ich war an diesem Tag nicht dort.«
»Ist sie denn bei Bewußtsein?«
»Das weiß man nie. Sie kippte um und war wieder weg. Einige Worte hat sie ja schon sprechen können. Jedenfalls wird sie mich erkennen, wenn sie wach ist. Eine Erinnerung könnte bei ihr den Lebensmut wieder anstacheln. Darauf hoffe ich.«
»Okay, Betty, gehen Sie. Ich werde hier schon die Stellung halten und Sie gut vertreten.«
»Danke.«
Dr. Clement winkte müde hinter ihr her, als sie den Raum verließ. Der breite Flur war menschenleer. Nur Betty durchschritt ihn. Sie mußte bis zur letzten Tür auf der rechten Seite gehen. Dahinter lag das Zimmer der Glenda Perkins.
Schwester Betty hoffte, daß sie dem Tod von der Schaufel springen würde. Es war eine Operation auf Leben und Tod geworden. Das Messer war tief in den Körper der Frau gedrungen und hatte eine starke Wunde hinterlassen. Hinzu war der Blutverlust gekommen, der Glenda Perkins hatte schwach werden lassen.
Auf leisen Sohlen betrat die Schwester das Zimmer. Das Rollo war vor das Fenster gezogen, aber nie ganz geschlossen worden, so daß die Sonnenstrahlen ein Streifenmuster auf den Boden zeichneten, in das sich der Schatten der Schwester hineinschob, als sie das Zimmer durchquerte. Das Bett stand mit dem Kopfende an der Fensterwand, wo auch die zahlreichen Apparaturen angebracht worden waren. Jeder Patient wurde hier elektronisch überwacht.
Glenda Perkins lag bewegungslos auf dem Rücken. Schläuche waren an ihren Körper angeschlossen, da sie intravenös ernährt wurde. Die Verbindung zwischen den Kontakten und den Apparaturen stellten feine Drähte her, die leicht übersehen werden konnten.
Automatisch warf die Schwester einen Blick auf die Elektronik, bevor sie die letzten Schritte ging, um das Ziel zu erreichen. Dicht neben dem Bett blieb sie stehen, beugte sich vor und schaute direkt in das Gesicht der Patientin, die ihre Augen geschlossen
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