0659 - Die indische Rache
Nachricht hatte mir Sira zwar nicht hinterlassen, ich wußte trotzdem Bescheid.
Das Blatt gegen Glenda!
Für den Geist war es einfach, an Glenda heranzukommen. Sira würde darüber nur lachen. Wenn jemand durch Wände schreiten konnte, gab es keinerlei Probleme.
»Was werden Sie denn machen, Mr. Sinclair?«
Ich hörte die Stimme der Krankenschwester wie aus weiter Ferne. Was sich in meinem Hirn abspielte, konnte ich nicht beschreiben. Es war einfach zu viel.
»Bitte…«
»Okay, Schwester. Ich komme zu Ihnen, und ich werde die Bewachung von Miß Perkins übernehmen.«
Ihr schweres Seufzen klang durch den Hörer. Und es hörte sich erleichtert an. »Das ist gut«, flüsterte sie, »das ist genau das, womit ich gerechnet habe.«
»Nun ja, wir mußten etwas tun.«
»Haben Sie denn eine Erklärung für diese gräßlichen und unheimlichen Vorgänge?«
»Nun ja«, dehnte ich. »Die habe ich schon, aber ich kann sie Ihnen hier am Telefon schlecht geben. Das würde wirklich zu weit führen, glauben Sie mir. Wichtig ist, daß wir uns den Tatsachen stellen.«
»Gut, Mr. Sinclair, ich warte auf Sie. Kommen Sie bitte so schnell wie möglich.«
»Worauf Sie sich verlassen können.« Als ich auflegte, erinnerte mich der Wagen an eine Sauna. Es mochte auch daran liegen, daß ich unter diesem gewaltigen Streß stand.
Konnte ich Sira überhaupt allein schaffen? In meinem Zustand? Ich glaubte nicht daran. Okay, ich hatte schon viel gebracht, aber ich durfte schon allein wegen Glenda kein Risiko eingehen. Deshalb rief ich beim Yard an, um mit Suko zu sprechen.
Der war nicht da. Selbst Sir James wußte nicht, wohin er gefahren war. Im Hotel erreichte ich ihn auch nicht.
Natürlich weihte ich Sir James ein. Mein Chef war sprachlos, überließ mir aber die Aktion und wollte keinen Ring um das Krankenhaus ziehen lassen.
»Sie melden sich dann, John.«
»Sicher, Sir.«
Als ich ausstieg, stand Helen Dexter vor mir. Besorgt schaute sie mich an, hielt mich fest und schüttelte den Kopf. »Mein Gott, John, Sie zittern ja.«
»Das ist kein Wunder.«
»Und warum?«
»Wir müssen in ein Krankenhaus.«
»Warum?«
»Es geht jetzt um Glenda Perkins.« Helen stellte keine weiteren Fragen.
Sie sah meinem Gesicht an, welche Sorgen mich quälten. »Okay, John, wie wäre es, wenn ich Sie fahre? Sie selbst sind nicht in der Lage, einen Wagen zu steuern, glauben Sie es mir.«
»Das schätze ich auch.«
»Wohin also?«
»Soho.«
»Gut.« Sie stellte keine Fragen mehr, dafür wollte Glaser noch einiges wissen.
Ich stand neben dem Rover und warf Helen die Schlüssel zu. Der Herbstwind trieb einige bunte Blätter vorbei, und Glaser sah für mich aus, als würde er hinter einem dünnen Vorhang stehen.
»Wenn ich heute abend noch lebe, werde ich Ihnen alles erklären, Kollege.«
Erst hatte Paul Glaser grinsen wollen, dann war ihm mein Gesichtsausdruck aufgefallen. Der besagte, daß es mir verdammt ernst war…
***
Suko war mit den Jüngern des Gurus quer durch London in südliche Richtung gefahren.
Nach dem Trubel der City kam ihnen die Ruhe gelegen, wobei Suko sich an den Gebeten der Männer nicht beteiligte. Sie umsaßen ihn und murmelten mit leisen Stimmen die Worte, die Suko nicht verstand, und die sich zu einem Singsang mischten.
Sie fuhren dann nach Westen in Richtung Greenwich. Auf der Trafalgar Road blieben sie noch einige Minuten, dann bogen sie ab in eine ruhige Gegend, wo nur wenige hohe Wohnhäuser, dafür mehr Landhäuser standen, die allesamt einen guten Eindruck machten und jeweils breite Zufahrten besaßen.
Eines dieser Landhäuser steuerte der Fahrer des VW-Busses an. »Das sieht nicht sehr indisch aus«, sagte Suko.
Singk hatte seine Worte gehört, drehte sich um und rückte die randlose Brille zurecht. »Du hast recht. Es wurde uns von einem Freund zur Verfügung gestellt, der sich auf einer langen Reise befindet. Er kehrt erst im nächsten Monat zurück.«
»So ist das.«
Wenig später konnte sich Suko nur wundern, denn hinter dem Haus breitete sich ein derart großer Garten aus, daß er schon beinahe den Namen Park verdiente.
Zwischen dem herbstlich verfärbtem Laub entdeckte Suko zahlreiche Figuren und Skulpturen, die bestimmt aus einer europäischen Kultur stammten. Die steinernen Gegenstände sahen aus wie finstere Götter und Dämonen. Manche mit gewaltigen Mäulern versehen oder übergroßen Augen. Mutationen zwischen Tier und Mensch waren ebenso vorhanden wie nur Tiere oder Fabelwesen.
Singk
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