0660 - Die Totenstadt
hatte es geschafft, ein Stück Natur zu kultivieren. Die Hütte passte in das Gelände. Auch der kleine Garten passte wunderbar hinein. Hinzu kam der See, der so lebendig aussehende Bach, der munter sprudelte, die kleinen Grünanlagen, die Rabatten mit den Blumen und der schmale Pfad, der nicht nur bis zum Haus führte, sondern sich teilte und in einen gepflegten Steingarten mündete.
»Ich darf vorgehen?«, fragte Clayton.
Natürlich durfte er das. Wir wunderten uns nur über die Stille, die uns umgab.
»Ist das normal?«, fragte ich.
Simane begriff nicht ganz. »Wie meinen Sie das, Mr. Sinclair?«
»Wer hier wohnt, hätte uns längst sehen und hören müssen. Schließlich sind wir erwartet worden. Ich habe damit gerechnet, dass Aoyama das Haus verlässt.«
Clayton hob die Schultern. In seinen Augen funkelte für einen Moment so etwas wie Spott. »Sie kennen sich bei uns nicht aus, Mr. Sinclair. Man kann warten, man hat Geduld. Sie dürfen nicht vergessen, dass wir etwas von ihm wollen, nicht er von uns. Keine Sorge, Sie werden noch mit ihm reden können.«
»Das will ich hoffen.«
Wir ließen ihm den Vortritt. Die dünne Haustür war nicht ganz geschlossen. Darüber wunderte ich mich, enthielt mich diesmal aber eines Kommentars. Dass Suko ähnlich dachte wie ich, entnahm ich seiner gerunzelten Stirn und dem Kommentar.
»Ich habe das Gefühl, John, dass hier etwas nicht stimmt. Da läuft was schief.«
»Meine Ahnung.«
»Kann sein.«
Von unserem Begleiter sahen wir nichts mehr. Wir hörten ihn im Haus und ein Geräusch, das mich an einen unterdrückten Schrei erinnerte.
Suko und ich starteten gleichzeitig, kamen nicht einmal bis zur Tür. Sie wurde schon vorher aufgerissen und ein Fremder wankte uns entgegen. Jedenfalls sah Clayton Simane wie ein Fremder aus, so erstaunt und gleichzeitig verzerrt war sein Gesicht.
»Reden Sie!«, fuhr ich ihn an.
»Gehen Sie hinein«, murmelte er tonlos. »Aber seien Sie vorsichtig!«
»Weshalb?«, fragte Suko.
Der Mann hob nur die Schultern, bevor er sich zur Seite drehte. Auf einem hohen Stein ließ er sich nieder und starrte ins Leere.
Wir betraten das aus einfachen Materialien errichtete Haus. Rechneten mit dem schlimmen Anblick einer Leiche, der jedoch blieb uns zum Glück erspart.
Dafür schimmerten die dunklen Flecken auf dem Boden. Wir brauchten nicht erst zweimal hinzuschauen, um erkennen zu können, dass es sich um Blut handelte.
Suko war nicht mehr weitergegangen. Seine Fußspitzen berührten fast den Rand einer Lache. Bevor ich mich bückte, ging er in die Knie, streckte einen Finger aus und tupfte die Spitze gegen das Blut, dessen Oberfläche von einem dünnen Häutchen überzogen war. Es platzte weg. Sukos Fingerspitze bekam einen roten Punkt, den auch ich mir anschauen konnte.
»Und wo ist der Tote oder die Leiche?«
»Ich bin kein Hellseher, John.«
»Nein, das nicht.« Ich musste schlucken, der Ärger schwang in mir hoch. »Wir hätten schon in der Nacht losfahren sollen, dann wäre es hier nicht zu einem Drama gekommen. Oder glaubst du, dass Aoyama noch am Leben ist? Glaubst du das?«
»Reg dich nicht auf, Alter. Solange ich keine Leiche gefunden habe, glaube ich alles.«
»Optimist«, spie ich fast hervor. »Es war unsere einzige Spur und damit auch die Spur zu Nadine und Mallmann. Er hätte die alte Schrift lesen können. Ich bin davon überzeugt. Aber was ist? Man hat ihn gekillt oder entführt.«
Auch Clayton Simane machte sich über die Leiche Gedanken. »Ich werde draußen nachschauen«, erklärte er. »Sie muss doch hier irgendwo zu finden sein.«
»Falls man sie nicht weggeschafft hat«, erklärte ich mit müder Stimme. So wie sie klang, fühlte ich mich auch. Ich kam mir vor, als hätte man mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Am liebsten wäre ich ins Leere gefallen und hätte alles andere vergessen.
Ich beteiligte mich weder an der Suche im Haus noch im Garten, sondern rauchte eine Zigarette und schaute dem blauen Dunst nach, als wäre er ein Orakel, das mir seine letzten Geheimnisse enthüllte, damit ich den Fall hier lösen konnte.
Die Sonne stand am Himmel. Das Licht blendete. Ich setzte die dunkle Brille auf und sah Suko, wie er das Haus verließ.
»Erfolg?«
»Nein, John. Im Haus ist der Tote nicht, falls überhaupt jemand ermordet wurde. Es sieht nur so aus, als hätte es einen Kampf gegeben. Dann habe ich ein Schnellfeuergewehr entdeckt, eine schwarze Kapuze und ebenfalls schwarze Lederbekleidung.«
»Der
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