0660 - Die Totenstadt
wusste, dass es ihm nicht entkommen konnte.
An der Tür blieb Aoyama stehen. Ein Ruck ging durch seine Gestalt. Es sah zuerst so aus, als würde er gegen die leichte Tür aus dünnem Sperrholz fallen, dann stellte er sich auf die Zehenspitzen und bog den Oberkörper durch, auf dessen Rücken sich der feuchte, rote Fleck immer weiter ausbreitete.
So musste das Ende aussehen.
Mallmann ging auf ihn zu. Seine Tritte klopften auf den Boden und hinterließen Echos.
Die Laute hörte auch der Einsiedler. Er schaffte es, sich zu drehen. Mallmann stand vor ihm. »Ich sagte dir doch, dass ich besser bin. Du weißt viel, aber nicht genug, mein Freund. Ich werde dich mitnehmen, du sollst mit ihnen sprechen, aber nicht hier und auch nicht als Mensch, sondern als Wiedergänger.«
Danach packte er zu.
In einem Anfall von wilder Gier riss er das Opfer zu sich heran. Weit öffnete er sein Maul, damit die Vampirhauer noch stärker hervorstechen konnten.
Aoyama sah das Gesicht nur wie ein verschwommenes Tuch, das gegen ihn klatschte, bevor er am Hals die Stiche spürte.
Sekunden später hob er ab. Jedenfalls glaubte der Mann, fliegen zu können. Alles war so wunderbar leicht, so herrlich, so anders. Die Schmerzen verschwanden, die Schatten vertieften sich. Er fühlte sich beinahe glücklich, sodass ihn das gierige Schmatzen des Vampirs nicht weiter störte…
***
Im Gegensatz zu mir hatte Suko gut geschlafen. Ich war während der Nacht mehrere Male wach geworden, verfolgt von Albträumen, aber auch von der Angst, es nicht mehr zu schaffen. Dass alles vorbei war und wir zu spät kamen.
Jedes Mal war ich in Schweiß gebadet. Gegen fünf Uhr am Morgen hielt ich es auf dem Bett nicht mehr aus. Nass geschwitzt schlich ich in Richtung Dusche. Als ich sie wieder verließ, hörte ich von draußen das erste Singen der Vögel, die den neuen Tag begrüßten.
Das Fenster ließ sich öffnen. Ich brauchte nur einen Holzriegel zur Seite zu schieben.
Frische Luft fächerte in mein Gesicht. Sie war auch feucht. Ich vermutete, dass es in der Nacht geregnet hatte. Blütenduft wehte in meine Nase. Unter mir hörte ich eine helle Frauenstimme, die ein sanftes Lied sang.
»Du bist schon auf den Beinen?«
Ich drehte mich um. Suko saß auf seinem Bett und blickte mir verwundert entgegen. »Ja, ich konnte nicht mehr schlafen. Die Unruhe war einfach zu stark.«
»Träume?«
Ich wiegte den Kopf. »Auch, aber mehr Ahnungen.«
»Welche denn?«
»Dass wir zu spät kommen.«
Suko stöhnte auf, als er sich in die Höhe quälte und reckte. »Ich gehe mal unter die Dusche.« Mein Freund schien meine Sorgen nicht zu teilen. Ich aber wäre jetzt schon lieber bei Aoyama gewesen als hier im Hotel.
Er brauchte nicht so lange wie ich. Bei seiner Rückkehr fand er mich noch an der gleichen Stelle stehend vor. »Wir werden es packen, John. Wir werden die entsprechenden Informationen bekommen, davon bin ich fest überzeugt.«
»Ich nicht.«
»Dann kann ich nichts ändern. Mal sehen, wer Recht behält.« Er zog sich an, ich hatte bereits meine Kleidung übergestreift.
In der kleinen Ryokanherberge herrschte noch eine morgendliche Stille. Auch die Stimme der Frau war verstummt. Ich spürte bereits das Kribbeln auf meiner Haut. Auch Sukos optimistisches Lächeln konnte mich nicht aufheitern.
Wir gingen in die kleine Halle, wo uns ein junges Mädchen erstaunt anschaute. Es trug einen lachsfarbenen Kimono und hatte das Haar hoch gesteckt, wobei zwei helle Nadeln den Dutt zusammenhielten.
»Wir sind zu früh, nicht?«
Sie nickte Suko zu.
»Das macht nichts. Wann können wir denn etwas zu essen bekommen?«
Genau wusste die Kleine es nicht, sprach von einer Viertelstunde, die wir uns vor dem Hotel vertrieben.
Auf der Straße war es noch ruhig. Selbst von dieser Stelle aus konnten wir den Heiligen Berg sehen, dessen Kuppe die Stadt wie ein mächtiger Thron überragte.
Da ungefähr mussten wir hin. Hineintauchen in den grünen Wirrwarr der Vegetation, aus der nur hin und wieder die Spitze eines Bauwerks - zumeist eines Tempels - hervorschaute.
Es wurde ein ziemlich weiter Weg werden, auch wenn der Hang in der klaren Luft nah wirkte.
Die Zeitspanne war sehr bald um. Wir kehrten zurück in das kleine Hotel und betraten den Raum, in dem wir das Frühstück einnehmen konnten. Der niedrige Tisch war bereits gedeckt. Auf Hockern nahmen wir Platz, als das junge Mädchen kam, Tee brachte und auf einem Tablett eine so reichliche Auswahl bereitstand, dass wir es
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