0660 - Gefangene der Zeit
ihn zu töten.
Er warf einen Blick auf die noch immer reglos knienden Dämonen. »Ihr könnt gehen«, sagte er ruhig.
Go'ken sah seine Fürstin abwartend an. Erst als sie nickte, erhoben er und die anderen sich und verließen den Thronsaal.
Stygia lächelte. »Nun, Asmodis, wir sind allein. Was willst du von mir?«
Der Ex-Fürst ging um den Thron herum, bis er direkt vor ihr stand. »Stoppe diesen Irrsinn, Stygia«, sagte er eindringlich, »solange du es noch kannst.«
Die Höllenfürstin sah ihn überrascht an und lachte. »Bist du völlig wahnsinnig geworden? Du willst, daß ich den größten Triumph, den die Hölle je gesehen hat, beende - so kurz vor unserem endgültigen Sieg? Die Zeit bei den Menschen muß deinen Verstand vernebelt haben.«
Asmodis seufzte. »Es ist ein Pyrrhus-Sieg. Wenn die Hölle die Menschheit besiegt hat, vergeht auch sie. Wir sind zwei Seiten der gleichen Münze.«
Er setzte sich auf die Stufen, die zum Thron führten und ließ sie durch seinen untergeordneten Platz wissen, daß er sich ihrer höheren Stellung bewußt war und sie akzeptierte. Etwas, was er noch vor einem Jahr nicht getan hätte…
»Viele Höllenwesen haben nie begriffen, was unsere wirkliche Rolle in diesem kosmischen Spiel ist«, fuhr er fort. »Wir sind nicht dazu geschaffen, diesen Planeten zu beherrschen. Damit sollen sich die Menschen herumschlagen. Wir sind da, um sie zu verführen, vom wahren Weg abzubringen und jeden der kleinen positiven Schritte, die sie unternehmen, rückgängig zu machen. Wir sind nicht da, um sie zu vernichten.«
»Dafür hast du aber verdammt oft getötet«, unterbrach Stygia ihn ironisch.
Asmodis ignorierte ihre Provokation und nickte. »Wenn es um einen größeren Plan ging. Heute halte ich selbst das für falsch, aber darum geht es nicht. Die Frage ist eine ganz andere: Was wird die Hölle tun, wenn die letzte Seele genommen und der letzte Mensch vernichtet ist? Was ist dann eure Existenz noch wert?«
Stygia nahm einen Schluck Wein und lächelte. »Du verrennst dich in Gedankenspiele, Asmodis. Ich glaube, du bist nur neidisch, weil du selbst nie so weit gekommen bist…«
»Ich wollte nie so weit kommen«, unterbrach er die Fürstin ärgerlich und sprang auf. »Du begreifst doch gar nicht, was du tust! Du setzt ein Gleichgewicht aufs Spiel, das seit Millionen von Jahren besteht. Der Wächter der Schicksalswaage…«
»… ist eine Legende«, schrie Stygia zurück. »Damit erschreckt man kleine Dämonen, aber keine Höllenfürsten!«
»Nur solche nicht, die so dumm sind wie du!«
Asmodis fing sich, atmete tief durch. »Also gut«, sagte er ruhiger. »Ich verlange nicht, daß du sofort auf mich hörst. Aber ich bitte dich: Laß dir deine Taten noch einmal durch den Kopf gehen. Besprich dich mit LUZIFER. Das ist alles, was ich von dir erbitte. Wenn du auf mich hörst, wirst du ein furchtbares Schicksal von uns allen abwenden. Kannst du mir das Zusagen?«
Stygia lächelte überlegen. Asmodis hatte sich vor ihr erniedrigt, hatte sie tatsächlich um etwas gebeten. Das war ein Ereignis, auf das es nur eine Antwort gab: »Nein, das kann ich dir nicht Zusagen. Statt dessen biete ich dir etwas anderes an: Den nächsten Angriff werde ich dir widmen. Und wenn Château Montagne fällt, werden meine Söldner deinen Namen rufen. Was hältst du von diesem Vorschlag?«
Asmodis sah sie einen Moment lang wortlos an. Er tat ihr nicht den Gefallen, noch einmal die Fassung zu verlieren, sondern sagte ernst: »Schon bald wirst du erkennen, daß die Erfüllung eines Wunsches auch ein Fluch sein kann.«
Dann stand er auf, murmelte einen Zauberspruch, drehte sich einmal um sich selbst und verschwand.
Stygia wollte lachen, aber der Laut blieb ihr im Hals stecken. Statt dessen schüttete sie wütend den Wein auf den Boden. Dieser Asmodis wußte schon, wie er ihr die Stimmung versauen konnte - das mußte sie ihm lassen.
Sie zuckte mit den Schultern. Vielleicht würde ja der Angriff auf Château Montagne ihre gute Laune zurückbringen.
Mit einem Gedankenbefehl veranlaßte sie die Dämonen, den Thronsaal wieder zu betreten.
An den niederen Geist, der die ganze Zeit still in seiner Ecke gesessen hatte, dachte sie nicht mehr.
***
Zamorra stand an der Fensterfront des Besprechungsraums und sah nach draußen. Weit unter ihm, entlang der schmalen Privatstraße, die zum Château führte, breitete sich das Flüchtlingslager aus. Weiße Zelte bedeckten die hügelige Landschaft. Jeder halbwegs flache
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