067 - Der Redner
nicht, wo Mrs. Gray ist, und ich kann Ihnen auch sonst nichts über den Fall sagen.«
Mr. Rater legte die Stirn in Falten und schaute hinaus.
»In Ihrem Wagen sind Blutspuren«, wiederholte er mit eigentümlicher Betonung. »Trugen Sie gestern Abendkleidung?«
Vanne nickte.
»Bitte zeigen Sie mir den Anzug und das Oberhemd.«
Vanne zuckte nicht mit der Wimper, als der Chefinspektor ihn scharf musterte.
»Ich habe etwas Kaffee verschüttet und den Einsatz beschmutzt, deshalb habe ich es verbrannt. Der Smoking und die Beinkleider waren alt, ich habe sie mit dem Frackhemd zusammen auch unten in die Zentralheizung geworfen, bevor der Portier aufstand. Ich teile Ihnen das deshalb mit, weil der Nachtportier es Ihnen wahrscheinlich später doch sagen wird. Er hat mich mit dem Paket in den Keller gehen sehen.«
»Natürlich waren Blutflecken daran«, meinte der Redner nachdenklich. »Am vergangenen Abend waren Sie mit Mrs. Gray zusammen in ihrer Villa, und Sie hatten einen heftigen Streit miteinander -«
Vanne machte eine verzweifelte Handbewegung.
»Es ist mein Fehler, daß ich so streitsüchtig bin«, erwiderte er niedergeschlagen. »Dieser entsetzliche Jähzorn! Aber ich verspreche Ihnen, daß ich von jetzt ab ...«
»Wo ist Mrs. Gray?«
»Ich habe Ihnen ja schon gesagt, daß ich es nicht weiß. Seit gestern abend habe ich sie nicht wiedergesehen. Wenn Sie glauben, daß ich sie ermordet habe, dann verhaften Sie mich doch.«
Er zitterte vor Erregung.
»Da Sie zugeben, daß Sie zum Jähzorn neigen ...«, begann der Redner.
»Ich weiß, daß es mein Fehler ist. Es tut mir außerordentlich leid, aber ich kann Ihnen weiter nichts über Mrs. Gray sagen. Wie unvorsichtig und dumm habe ich mich doch benommen!«
»Ja, das stimmt«, sagte der Chefinspektor, als er sich zur Tür wandte. »Ich komme später wieder, Mr. Vanne.«
Der Redner zog am Vormittag noch mehrere Erkundigungen ein und war mit dem Resultat zufrieden.
Gegen zwölf Uhr hielt man in Scotland Yard eine Konferenz ab, zu der Major Dawlton jedoch nicht zugezogen wurde. Um ein Uhr traf ein Telegramm von einem Arzt in Devonshire ein, das den Redner auf eine neue Spur brachte. Zu gleicher Zeit lief auch der Bericht eines kleinen Krankenhauses in der Nähe von Horsham ein, der die letzte Lücke ausfüllte.
Am Nachmittag ging Mr. Rater wieder zu Mr. Vanne, der ihn offenbar erwartete.
»Ich will Ihnen keine Schwierigkeiten machen«, erklärte er. »Ich hole bloß noch meinen Hut, dann komme ich mit Ihnen.«
»Ich habe nicht die Absicht, Sie zu verhaften, wenn Sie das meinen sollten. Nur muß ich Sie um Auskunft bitten, wo Sie den Mann gelassen haben.«
Mr. Vanne wurde bleich.
»Fünf Meilen hinter Horsham - ich habe ihn aber nicht auf der Straße liegenlassen -«
»Nein, er ist von selbst verschwunden«, erwiderte Mr. Rater. »Jetzt liegt er im Langwell Cottage-Hospital mit einer großen Wunde im rechten Oberarm ... Unglaublich, wie solche Wunden bluten können.«
Vanne starrte ihn verwundert an.
»Lebt er denn noch?« flüsterte er.
Der Redner nickte.
»Der Mann leidet an Krämpfen - ich habe das in seinen Personalakten in Scotland Yard inzwischen feststellen können. Übrigens hat der Gefängnisarzt das auch bestätigt. Ich vermutete schon etwas Ähnliches. Diese Kerle sterben nicht so leicht, aber wenn sie einen Anfall bekommen, sieht es aus, als ob sie tot wären.«
Er nahm ein Telegramm aus der Tasche und faltete es auseinander.
»Henry Walter Wassing heißt er - als John Smith wurde er verurteilt. Ich fahre jetzt nach Horsham, um mir den Mann einmal anzusehen. Ich glaube, er wird nun wieder nüchtern und bei Besinnung sein. Hätte sich Mrs. Gray mir anvertraut, so hätte ich ihr genügend Material gegeben, und sie hätte sich in aller Stille von ihm scheiden lassen können. - Erzählen Sie mir jetzt einmal Ihre Geschichte im Zusammenhang.«
Mr. Vanne hatte sich inzwischen beruhigt und kam der Aufforderung des Chefinspektors nach.
»Ich traf Mrs. Gray vor etwa fünf Jahren zum erstenmal bei einer bekannten Familie und verliebte mich sofort in sie. Trotz meines jähzornigen Charakters erwiderte sie meine Neigung, nur weigerte sie sich, mich zu heiraten. Ich glaubte, sie wäre Witwe, und konnte infolgedessen den Grund für ihre Weigerung nicht verstehen. Ich wußte nicht, daß ihr Mann für ein schreckliches Verbrechen eine zehnjährige Zuchthausstrafe absaß. Sie wollte sich nicht scheiden lassen, da sie die Öffentlichkeit fürchtete. Dazu
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