067 - Der Redner
Mitternacht nach London zurückfuhr. Ich möchte nichts sagen, was ich eigentlich nicht sagen sollte«, fügte sie mit nervöser Hast hinzu, »aber die beiden hatten einen schrecklichen Streit miteinander.«
»Wer?«
»Mrs. Gray und Mr. Vanne. Er brüllte und verlangte eine Erklärung für irgend etwas. Sie bat ihn, sich doch zu beruhigen und nicht so laut zu schreien.«
»Haben Sie an der Tür gelauscht?«
Die Frau wurde bleich.
»Ja - das muß ich zugeben. Ich hörte, wie Mrs. Gray sagte: ›Es ist mir unmöglich, dich zu heiraten. Den Grund dafür kann ich dir nicht sagen. Wenn du mich wirklich liebtest, würdest du nicht so unvernünftig sein.‹«
»Und was geschah dann?« fragte der Redner, der den Inhalt der Angaben schnell notierte.
»›Ich würde dich eher umbringen, als dich verlieren oder einem anderen überlassen‹, sagte er. Darauf kann ich einen Eid leisten, obwohl er sonst sehr nett zu uns war und ich ihn nicht in Schwierigkeiten bringen möchte.«
»Haben die beiden noch miteinander gestritten, als Sie fortgingen?«
Sie schüttelte den Kopf.
Sie hatten sich in ruhigem Ton unterhalten, als die Köchin durch die geschlossene Tür Gute Nacht wünschte.
Ihre Tochter konnte nichts aussagen, weil sie schon eine Stunde vor Beginn der Auseinandersetzung gegangen war.
»Nun, was sagen Sie jetzt?« fragte der Major eifrig. »Die Sache wird doch immer klarer. Mr. Vanne blieb in der Wohnung und fing einen neuen Streit mit der Frau an ...«
»Sie hat sich aber zur Ruhe gelegt«, erwiderte Mr. Rater kühl. »Und der Mann, der den Mord begangen hat, kam nicht durch die vordere Haustür herein, sondern von der Hinterseite. Wenn Sie um das Haus herumgehen, finden Sie die Spuren eines Stemmeisens an der Küchentür. Und das Schloß ist erbrochen!«
Der Major schwieg einen Augenblick.
»Ich kenne natürlich Mr. Leicester Vanne«, meinte er dann. »Er ist sehr jähzornig. Selbstverständlich müssen Sie in dieser Richtung Nachforschungen anstellen.«
»Der schlaue Gedanke ist mir auch bereits gekommen«, entgegnete der Redner ironisch.
Es war schon halb acht, als der Chefinspektor die Wohnung Mr. Vannes erreichte. Nach mehrfachen Erkundungen stellte er fest, daß der junge Mann sein Auto in einer nahen Mietgarage einstellte. Um acht Uhr kehrte Rater zurück und unterhielt sich mit dem Portier, der ihm aber keinen Aufschluß geben konnte, da er erst seit sieben auf seinem Posten war.
Die Wohnung lag in der ersten Etage und Mr. Vanne öffnete persönlich, als der Redner klingelte. Er erkannte den Beamten sofort wieder. Mit etwas abweisender Stimme wünschte er Guten Morgen, aber der Redner sah, daß es Vanne große Mühe kostete, eine ruhige Miene zu zeigen.
»Kommen Sie bitte herein.«
Mr. Vanne öffnete die Tür weiter. Der Redner stellte jedoch fest, daß er ein wenig zögerte und es ungern tat. Auch entdeckte er, daß er einen seidenen Schlafrock über einem Straßenanzug trug. Mr. Vanne sah müde aus und war unrasiert. Aus all diesen Anzeichen ging hervor, daß er eine schlaflose Nacht hinter sich hatte.
Er führte seinen Besucher in ein kleines Arbeitszimmer.
»Nun, was kann ich für Sie tun?«
Mr. Rater sah ihn durchdringend an, bevor er antwortete.
»Ich komme wegen der verstorbenen Mrs. Gray.«
Mr. Vanne schaute ihn verblüfft an.
»Verstorben? Sie wollen doch nicht sagen, daß sie tot ist? Was meinen Sie denn damit?« fragte er ungläubig.
Der Redner erzählte in kurzen Worten, was sich seiner Meinung nach diese Nacht zugetragen hatte. Während er sprach, schwand die Angst allmählich aus Vannes Zügen, und schließlich lachte er laut auf.
»Wie absurd! Sie glauben tatsächlich, daß Mrs. Gray tot ist?«
Der Redner schwieg.
»Großer Gott, Sie bilden sich doch nicht etwa ein, daß ich sie umgebracht habe?« »Ich bilde mir gar nichts ein«, erwiderte Mr. Rater. »Ich halte mich nur an Tatsachen. In der Villa in Sunningdale habe ich Blutspuren gefunden, ebenso auf dem Weg vor der Haustür. Außerdem kann man deutlich sehen, daß ein menschlicher Körper auf die Straße gezerrt wurde.«
Er machte eine eindrucksvolle Pause.
»Und dann habe ich auch in Ihrem Auto Blutflecken gefunden!«
Mr. Vanne hatte seine Fassung wiedergefunden. Etwas bleicher war er allerdings geworden, als er erkannte, in welch kritischer Lage er sich befand.
»Natürlich haben Sie den Wagen gesehen. Wie dumm von mir!«
»Welche Erklärung können Sie mir geben?«
Mr. Vanne zuckte die Schultern.
»Ich weiß
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