067 - Der Redner
beinahe umgebracht!« bemerkte der Redner trocken und sachlich.
Der Sachverhalt war kurz folgender: Mr. Vanne und Mrs. Gray gingen spät am Nachmittag im KensingtonPark spazieren. Ein Bettler bat sie um ein Almosen, und als er es nicht erhielt, schimpfte er wütend. Wahrscheinlich hatte er vor Mr. Vanne nicht genügend Respekt und ließ sich durch dessen verhältnismäßig kleine und schlanke Gestalt täuschen. In Wirklichkeit war Vanne aber ein gut trainierter Sportsmann, und als der Bettler immer häßlichere Ausdrücke gebrauchte, wandte er sich plötzlich um, packte ihn buchstäblich am Kragen und warf ihn über das Brückengeländer in die Serpentine. Inzwischen war es dunkel geworden, und es kostete große Anstrengungen, den Mann wieder aus dem See zu retten. Er hatte viel Wasser geschluckt, und nur durch Anwendung künstlicher Beatmung gelang es, ihn allmählich wieder zu sich zu bringen. Jetzt lag er im Hospital. Dieser Vorfall war der Anlaß zu dem Besuch des Chefinspektors.
»Aber Dickie, du bist auch wirklich zu jähzornig.«
Mrs. Gray lachte leise und sah ihn mit einem zärtlichen Blick an.
»Welche Folgen hat die Geschichte denn für mich?« fragte Mr. Vanne nervös. »Ich hätte diese Vogelscheuche natürlich nicht ins Wasser werfen sollen. Merkwürdigerweise kannte mich der Kerl, er nannte mich sogar beim Namen. Erst als er drohte, mich zu ermorden, vergaß ich mich so weit, daß ich ihm einen Denkzettel gab. Will man mich deshalb anklagen?«
Der Redner konnte ihm darüber noch keine offizielle Auskunft geben. Er wollte vor allem einen eingehenden Bericht von Mr. Vanne haben, wie sich die Sache abgespielt hatte, Aber seiner Meinung nach hatte er keine Schwierigkeiten mehr zu gewärtigen. Der Bettler war sowohl der Londoner als auch der Provinzialpolizei als ein gefährlicher Kunde bekannt. Seine Personalakten sprachen gegen ihn, und er hatte schon oft im Gefängnis gesessen.
»Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, Mr. Vanne, dann schicken Sie jemand ins Hospital und besänftigen den Mann durch ein paar Pfund. Das sage ich Ihnen aber nicht als Polizeibeamter, sondern als Privatmann.«
Mrs. Gray hatte sich inzwischen gesetzt und schaute zum Fenster hinaus. Mr. Rater hatte den Eindruck, daß sie heimlich über ihren Freund lachte und es ihm nicht zeigen wollte.
Ein paar Tage später erwähnte Major Dawlton zufällig die beiden. Er kannte sie gut, da er nahe der Villa wohnte.
»Sie verkehren schon viele Jahre miteinander und sind sehr befreundet«, meinte er. »Die Leute in Sunningdale begreifen nicht, warum sie nicht heiraten.«
»Ach, die Leute in Sunningdale begreifen wahrscheinlich manches nicht«, erwiderte der Redner anzüglich und ging zu seinem Büro zurück.
Am nächsten Sonntagmorgen stand der Chefinspektor schon um halb fünf auf und bereitete sich gerade eine Tasse Tee, als das Telefon plötzlich klingelte. Wütend sah er auf den Apparat, denn er hatte mehrere Berichte zu schreiben, die er am besten in den frühen Morgenstunden erledigen konnte. Wieder läutete es. Er nahm den Hörer ab und erkannte die Stimme Major Dawltons, der sehr erregt sprach:
»Kommen Sie bitte hierher. Ich habe Scotland Yard bereits verständigt, daß Sie den Fall übernehmen. Die Fotografen und die Leute von der Fingerabdruckabteilung sind schon unterwegs.«
»Was ist denn passiert?« fragte der Redner schnell.
Es dauerte einige Sekunden, bevor die Antwort kam.
»... Mrs. Gray - wirklich eine nette Frau, die hier in der Nähe wohnt, ist ermordet worden!«
»Was, ermordet? Haben Sie schon irgendeine Spur?« »Nein. Sie ist sicher ermordet worden. Ach, es ist zu schrecklich - eine so schöne Frau ... Haben Sie mich verstanden, Mr. Rater?«
»Ja, vollkommen«, entgegnete der Chefinspektor ruhig. »Der Fall scheint ja sehr interessant zu sein.«
Er legte den Hörer auf, trank seinen Tee und wartete dann auf der Straße, bis das Polizeiauto ihn abholte.
»Halten Sie nicht an«, rief er dem Chauffeur zu, sprang auf das Trittbrett, riß die Tür auf und setzte sich neben den Fahrer. »Wissen Sie schon Genaueres?«
Keiner der Beamten im Wagen konnte ihm Einzelheiten berichten. Die Frau war ihnen vollständig unbekannt.
Der Redner klappte den Mantelkragen hoch und lehnte sich zurück, um zu schlafen.
Als der Wagen vor dem kleinen Haus hielt, wachte Mr. Rater wieder auf. Die Haustür stand weit offen, und in der Eingangsdiele brannte Licht. Dort traf er Major Dawlton, der mit dem Polizeiinspektor von
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