067 - Der Redner
meinem Onkel, in dem er mich bat, mit ihm zu Abend zu speisen. Ich kannte Artur damals schon; wir sind seit langem miteinander befreundet. Ich traf meinen Onkel also im Carlton, und er machte mir einen merkwürdigen Vorschlag. Er versprach mir, diese Wohnung für mich zu mieten, sie wundervoll einzurichten und mir außerdem eine jährliche Rente von fünftausend Pfund zu zahlen, wenn ich nicht heiraten würde. Zuerst wußte ich nicht, was ich dazu sagen sollte, aber bei der zweiten Zusammenkunft überredete er mich, auf seinen Wunsch einzugehen. Ich glaube, keine junge Dame hätte es sich lange überlegt, ein solches Angebot anzunehmen. Er ist der Bruder meines Vaters; ich bin seine einzige Verwandte und gelte als seine Erbin.«
Sie machte eine kleine Pause, bevor sie weitersprach.
»Damals machte ich mir keine großen Sorgen über die Bedingung, daß ich mich nicht verheiraten sollte. Ich hatte den Eindruck, daß er mich durch diese Maßnahme vor Unglück und Enttäuschungen bewahren wollte. Aber ich entdeckte bald, daß er die Sache bedeutend ernster nahm, als ich jemals dachte. Er fand heraus, daß ich mit Artur freundschaftlich verkehrte, und engagierte wohl Detektive, um uns zu beobachten. Eines Tages kam er sehr erregt hierher und bat mich aufs neue dringend, weder Artur noch sonst jemand zu heiraten. Hoch und heilig mußte ich ihm versichern, daß ich ihm unbedingt Mitteilung machen sollte, falls ich mich doch einmal in einen Mann verlieben würde und ihn heiraten wollte.«
»Kennt Ihr Onkel Mr. Menden?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Nein. Er hatte auch nichts gegen ihn, bis er erfuhr, daß ich ihn gern habe.«
»Und dann?«
»Dann war er schrecklich - er tat alles, was in seiner Macht stand, um Artur zu ruinieren.«
Mr. Menden unterbrach sie. Er war ziemlich jung und hatte noch einen ausgesprochenen Sinn für Gerechtigkeit.
»Ich glaube nicht, daß man diesen Ausdruck gebrauchen darf. Er bot mir nur eine Stellung in Argentinien an, um mich außer Landes zu bringen. Das kann man nicht gerade ›ruinieren‹ nennen. Natürlich wollte ich nicht, daß Betty ihre hohe Rente verliert, aber zum Glück verdiene ich genug, um uns beide zu unterhalten.«
»Dann haben Sie also die Absicht, zu heiraten?«
»Wir sind schon seit vier Monaten verheiratet«, erwiderte Betty langsam und sah Mr. Rater furchtsam an.
»Donnerwetter!« sagte der Redner.
Sie nickte schnell.
»Natürlich haben wir heimlich geheiratet, aber ..., ich weiß nicht, es war eigentlich nicht recht von mir. Aber ich hatte nicht den Mut, es Onkel Julian zu sagen, und ich bat auch Artur, es ihm zu verschweigen. Heute habe ich ihm nun geschrieben, daß ich morgen heiraten werde. Wir sind nämlich nur auf dem Standesamt gewesen, und ich möchte mich gern noch kirchlich trauen lassen.«
»Sie sind also längst verheiratet, stellen Ihrem Onkel gegenüber eine falsche Behauptung auf und wünschen, daß ich Sie aus all diesen Schwierigkeiten und Widersprüchen heraushole?«
»Nein, das meine ich nicht«, sagte die frühere Miss Linstead rasch. »Wir haben nicht gegen das Gesetz verstoßen.
Unsere Ehe ist vollkommen rechtsgültig. Artur hat sich vorher darüber erkundigt. Und ich habe den speziellen Wunsch, mich auch kirchlich trauen zu lassen - aus einem ganz bestimmten Grund.«
Der Redner seufzte schwer.
»Das ist ja alles sehr interessant, aber ich sehe noch nicht, wie ich Ihnen helfen könnte.«
Die beiden jungen Leute warfen sich einen Blick zu, dann begann Mr. Menden zu sprechen.
»Mr. Rater, Betty ist zu der Überzeugung gekommen, daß ihr Onkel nicht mehr ganz normal sein kann. Es ist nicht der Verlust des Geldes, der ihr Sorge macht. Sie fürchtet sich davor, was mir passieren könnte, wenn Julian Linstead von ihrer Verheiratung erfährt. Es ist doch direkt absurd, mit allen Mitteln erzwingen zu wollen, daß Betty unverheiratet bleibt. Sonst ist er wirklich ein sehr umgänglicher und liebenswürdiger Herr, und deshalb kann ich sein Verhalten in dieser Beziehung nicht verstehen. Ich glaube kaum, daß er einen Feind auf der Welt hat, und ich mache mir auch keine Sorgen darüber, was mir geschieht, sondern was er Betty antun könnte.«
Allmählich verstand Mr. Rater.
»Ach so, Sie wollen polizeilichen Schutz haben?«
Die beiden nickten so lebhaft wie zwei furchtsame Kinder, die Sicherheit gefunden haben, und der Redner konnte kaum ein Lachen unterdrücken.
»Ich glaube, Sie sind wirklich zu ängstlich«, erwiderte er. »Aber ich will
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