067 - Der Redner
sehen, was ich tun kann.«
Es wäre verhältnismäßig einfach gewesen, das Haus bewachen zu lassen, aber er hielt es für überflüssig, die Zeit dreier Beamter für diesen Zweck zu opfern. Seine Sorglosigkeit sollte sich jedoch rächen.
Julian George Linstead war Antiquitätenhändler, der erfolgreich an der Börse spekulierte und es eigentlich nicht mehr nötig hatte, sich um sein Geschäft zu kümmern. Im Grunde liebte er seinen Beruf auch nicht so sehr, aber er hatte nun einmal seine Tatkraft dafür eingesetzt und betrieb ihn aus Gewohnheit weiter.
Er war ein Junggeselle von fünfundvierzig Jahren und sah trotz seines etwas verschlossenen und düsteren Wesens sehr gut aus. In seinem äußeren Auftreten war er liebenswürdig, und er hatte auch einen gewissen Sinn für Humor. Zu seinen Gunsten muß noch erwähnt werden, daß er zu allen wohltätigen Sammlungen reichlich beisteuerte, jedoch verlangte, daß sein Name nicht genannt wurde.
Er wohnte in der Curzon Street, wo ihn Mrs. Aldred, eine ältere Frau, betreute. Ihr Mann versah die Stelle eines Hausmeisters und Kammerdieners.
Mr. Linstead war Mitglied eines vornehmen Klubs, gehörte der Konservativen Partei an und war, soweit man feststellen konnte, in keine Liebesabenteuer verwickelt. Die Schätzung zur Einkommensteuer nahm er als einen Akt des Schicksals hin und führte auch sonst das Leben eines ruhigen und geachteten Bürgers. Das hinderte ihn aber nicht, Erholungsreisen ins Ausland zu machen. Man sah ihn in Deauville und am Lido, wenn die Saison es erforderte, und jährlich brachte er im Winter drei Wochen in St. Moritz zu.
Natürlich hatte er auch seine besondere Liebhaberei, und zwar galt sein Spezialinteresse okkulten Dingen. Aus diesem Grunde war er auch ein Freund des Professors Henry Hoylash, der sich nicht nur als Astronom, sondern auch als Astrologe betätigte und häufige Besuche in der Curzon Street machte.
Der Professor, ein kleiner Herr mit sanftem Charakter, konnte die Ereignisse der großen Politik mit erstaunlicher Sicherheit voraussagen. In seinen Kreisen war er als der »Sinusmann« bekannt, da alle seine Prophezeiungen in irgendeiner Weise mit diesem Stern zu tun hatten. Zum Ausgangspunkt seiner Berechnungen nahm er stets die Stellung des Sirius zu der Zeit, als die großen Pyramiden in Gizeh gebaut wurden. Die Astrologie hat viele Anhänger; auch Mr. Linstead, der früher nicht einmal gewußt hatte, daß ein Stern Sirius existierte, fühlte sich stark zu ihr hingezogen. Auch Ägypten, das er nur als großes Ausbeutungsobjekt der Firma Thomas Cook & Sons betrachtet hatte, erschien ihm plötzlich in neuem, geheimnisvollem Licht.
Und eines Abends überredete Professor Hoylash Mr. Linstead, statt eine Reise in die Schweiz zu machen, einmal nach Ägypten zu gehen.
Mr. Rater stellte Nachforschungen an und erfuhr, was allgemein über Mr. Linstead bekannt war. Einer der Detektive lud Mr. Aldred zu einem Glas Whisky-Soda ein, horchte ihn aus und bekam zu hören, daß Mr. Linstead der beste Dienstherr war, den man sich überhaupt wünschen konnte.
»Er hat sich allerdings in letzter Zeit viel mit Geistern, Spiritismus und solchem Zeug befaßt. Seitdem er den alten Professor kennt, redet er von ägyptischen Göttern und dergleichen verrückten Dingen. Aber schließlich ist ja jeder Mensch berechtigt, sein Steckenpferd zu haben.«
Der Detektiv wollte noch mehr von Mr. Linsteads okkulten Neigungen erfahren.
»Da ist weiter gar nichts dabei«, erklärte der Hausmeister. »Es macht ihm eben riesigen Spaß, Horoskope aufzustellen. Mich hat er auch schon gefragt, an welchem Tag und zu welcher Stunde ich geboren bin, ebenso meine Frau. Mehr merke ich nicht davon.«
Mr. Linstead schien jedoch seine astrologischen Studien sehr ernst zu betreiben. Er besaß eine umfangreiche Bibliothek okkulter Literatur, hatte sich ein Modell der großen Pyramiden herstellen lassen, das man auseinandernehmen konnte, und brachte abends viele Stunden mit mystischen Berechnungen zu.
Der Redner interessierte sich nicht für diese Lieblingsbeschäftigung Mr. Linsteads. Kaum hatte er die nötigen Erkundigungen eingezogen, so vergaß er die ganze Angelegenheit, denn er sah in diesem Fall wirklich nichts Ungewöhnliches. Schließlich durfte sich ein reicher Mann doch um die Verhältnisse seiner Nichte kümmern, die später einmal sein großes Vermögen erben sollte. Er kehrte nach Scotland Yard zurück, unterzeichnete einige Briefe, hörte die Berichte seiner
Weitere Kostenlose Bücher