0674 - Im Höllenloch
und feucht. Bewohnt von Menschen, die anders dachten und handelten als wir.
Suko atmete tief durch. »Ich schätze, daß ich einmal versuchen werde, mit ihnen Kontakt aufzunehmen.«
»Weshalb?«
»Ganz einfach, John. Es geht um mich, um meinen Stab. Ich habe euch da hineingezogen. Die Suppe kann nicht schmecken. Ich werde versuchen, sie auszulöffeln.«
»Du willst mit dem Beinlosen reden?«
»Ja.«
Ich blickte Mandra Korab an. »Wie stehen die Chancen?«
Er hob die Schultern. »Ich weiß es nicht.«
»Würdest du es denn an seiner Stelle tun?«
»Reden ist besser als töten!«
»Das stimmt allerdings.«
Suko stand auf. »Bevor wir hier noch lange herumreden, laßt mich bitte gehen.«
Auch ich erhob mich. »Einen Moment noch. Laß uns eine Zeitspanne ausmachen, in der wir uns noch zurückhalten. Zehn Minuten? Bist du damit einverstanden?«
Suko war es.
Als er ging und die Tür hinter sich zuschlug, hatte ich kein gutes Gefühl. Der Zug war auf einer Steigung langsamer geworden.
»Hast du noch mehr Gegner gesehen?« fragte ich Mandra mit leiser Stimme.
»Nein, John. Wenigstens keine, die mir aufgefallen wären. Aber rechnen müssen wir mit allem. Dieser beinlose Gott, wie man ihn auch nennt, ist hier in der Gegend bekannt. Er gehört zu denen, die verehrt werden. Kommt es zu einer Auseinandersetzung mit ihm, wird kein Passagier auf unserer Seite stehen. Davon mußt du ausgehen.«
»Womit rechnest du speziell?«
»Daß er und seine Leute versuchen werden, uns nicht bis Gaya und damit an Buddhas Grab kommen zu lassen. Das ist alles.«
Ich wollte noch eine Frage hinterherschicken, aber Suko kehrte zu unserer großen Überraschung zurück. Er betrat das Abteil, blieb stehen und hob die Schultern.
»Was ist denn?«
»Verschwunden, John. Sie haben das Abteil verlassen. Da ist keiner zurückgeblieben.«
Mandra nickte. »Sie wollen uns verunsichern. Das ist ihre Taktik. Glaub nur nicht, daß sie aufgegeben haben. Sie werden es mit allen Tricks versuchen.«
»Sollen wir den Zug durchsuchen?«
»Das wäre nicht gut. Noch sind wir hier sicher. Gehen wir durch die Wagen, haben wir alle gegen uns, sollte er dann erscheinen. Davon müßt ihr einfach ausgehen.«
Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn. Es war heiß wie in einer Sauna. Der Zug stampfte höher hinein in die mit dichtem Dschungel bewachsene Bergwelt. Zweige schlugen gegen die Wagen und schlitterten über die Fenster. Eine grüne Welt huschte vorbei, hin und wieder durchbrochen von kleinen, reflektierenden Lichtinseln, die hell wie Sterne glitzerten.
Und dazwischen schimmerte das Gesicht!
Zuerst glaubte ich an eine Täuschung. Vielleicht spielte man mir einen Streich, waren die Nerven zu überreizt, aber das Bild ließ sich nicht vertreiben.
Das Gesicht gehörte dem Beinlosen, der nun von außen hier in unser Abteil schaute.
Nur ich hatte ihn bisher gesehen. Mandra und Suko redeten leise miteinander. Ich konzentrierte mich auf das Gesicht mit der straffen Haut und den scharfen Falten. Der Mund, dünn wie zwei gebogene Striche verzog sich zu einem kalten, wissenden Grinsen.
Dieser Beinlose wirkte wie eine Provokation.
»Da ist er! Da, am Fenster!«
Meine Worte töteten das Gespräch zwischen Suko und Mandra. Sie hatten sofort erfaßt, was ich damit meinte und drehten die Köpfe automatisch dem Fenster zu.
Der Kopf blieb am offenen Fenster, verschwand aber, als Mandra aufstand. Die Gestalt huschte nach oben, und für uns bekam es den Anschein, als hätte sich der beinlose Gott einen neuen Platz auf dem Dach des Wagens ausgesucht.
Der Fahrtwind schlug in unsere Gesichter. Er war warm und schwül. Aus dem dichten Regenwald hörten wir die Schreie der dort hausenden Tiere. Sie übertönten selbst das Rattern der Räder auf dem alten Gleiskörper. Mandra ging das Risiko ein und beugte sich so weit wie möglich nach außen. Er mußte dabei achtgeben, daß er nicht von irgendwelchen Zweigen im Gesicht erwischt wurde.
»Siehst du ihn?«
»Nein.«
Ich war schon an der Tür. »Ich werde mich im Gang umschauen. Er muß ja hereinkommen.«
Niemand hielt mich zurück. Ich zerrte die Tür auf, schaute nach rechts, dann in die andere Richtung.
Mir kam es vor, als hätte der Beinlose die Kontrolle über den Zug. Kein Fahrgast war zu sehen. Die Passagiere blieben in ihren Abteilen hocken. An der linken Seite stand jemand, und zwar dicht an der Tür. Einer der Leibwächter. Ich sah nur einen Teil seines Rückens, er selbst hatte mich nicht
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