0677 - Das Haus der Hyänen
Verdächtiges festgestellt hatte. Er wollte wieder ins Warme gehen, als er etwas hörte.
Zuerst glaubte er, den Schrei einer Eule vernommen zu haben. Das aber war eine Täuschung, denn diese Tiere schrien anders.
Sie heulten nicht so.
Golenkow wusste Bescheid.
Hyänen!
Es konnten nur diese Bestien sein, die um den Friedhof herum lauerten und aus ihren sicheren Verstecken gekrochen waren. Sie hockten in der Finsternis, sicherlich mit starren Blicken und möglicherweise ihn unter Kontrolle haltend. Trotz der wärmenden Kleidung bildete sich auf seiner Haut eine Eisschicht. Die aber hing nicht mit den Außentemperaturen zusammen, sie drang von innen hoch und hüllte ihn als zweite Haut ein.
Wo verbarg sich die Brut?
Er wartete auf ein erneutes Heulen, vergeblich, kein Laut wehte ihm entgegen. Die Hyänen hielten sich zurück, als hätten sie genau gespürt, dass er nur darauf lauerte, von ihnen Bescheid zu bekommen.
Es war keinesfalls die Angst, die sich wie ein Stachel in sein Innerstes bohrte, sondern die verfluchte Ungewissheit, die ihn quälte und nicht zur Ruhe kommen ließ.
Er bewegte sich wieder auf die Haustür zu. Nicht aus Furcht, sondern deshalb, weil er möglichst nahe an der schlafenden Jana Jaschin sein wollte. Er konnte sich gut vorstellen, dass die Hyänen auf der Suche nach Beute auch in das Haus eindrangen.
Sie waren noch nicht da, aber sie hielten sich in der Nähe auf, denn abermals vernahm er diesen schaurigen Gruß aus der Dunkelheit, ohne jedoch eine Hyäne zu Gesicht zu bekommen.
Die Stille blieb nach dem Jaulen…
Irgendwo knackte es.
Wladimir fuhr herum. Da war nur ein Ast von einem Baum gefallen. Die Kälte hatte ihn getötet.
Sein Atem stand als Dampf vor den Lippen. Allmählich fror sein Gesicht ein. Als er über die Haut strich, stellte er fest, dass sie beinahe gefühllos geworden war. Er trug auch keinen Ohrenschutz. Sie kamen ihm vor wie filigrane Eisstücke.
Auf einmal war der Schatten da. Wladimir sah ihn vor sich, und er bewegte sich von rechts nach links, so schnell, dass er schon wieder verschwunden war, bevor der Russe reagieren konnte. Er hätte gern seine Waffe gezogen und geschossen.
Dann wieder das Heulen.
Diesmal klang es anders, triumphierender, als freuten sich die Bestien über einen Sieg.
Golenkow wischte über seine Augen. Er glaubte, sogar das Eis in seinen Winkeln knistern zu hören.
Etwas polterte hinter dem Haus. Ein blechern klingendes Geräusch folgte, und der Russe setzte sich in Bewegung. Als er um die Ecke herumhuschte, seine Hand bereits an der Waffe, sah er den länglichen Körper der Hyäne.
Sie huschte weg, und der Eimer, den sie umgerissen hatte, rollte noch über den Boden.
Golenkow zerrte die Waffe hervor. Wieder musste er sie sinken lassen, weil das Tier einfach zu schnell war. Er schien einen sechsten Sinn zu besitzen, was Gefahren anging.
Sie waren da, aber keine Bestie griff ihn an. Sie lauerten, sie wollten zeigen, wer hier die Herren waren, Golenkow gewöhnte sich daran, noch eine lange schlaflose Nacht vor sich zu haben, die er im Haus verbringen wollte.
Er ging wieder zurück. Die Wärme drang ihm entgegen wie eine Geliebte, die ihren Bräutigam umfangen wollte.
Im Kamin flackerte noch immer das Feuer und wärmte den großen Raum durch. Und neben ihm stand Jana.
Der KGB-Mann erschrak, als er ihre Gestalt sah. Sehr langsam schloss er die Tür.
»Sie?«
»Ich konnte nicht schlafen.« Sie hatte sich einen zerschlissenen Morgenmantel übergeworfen, der viel zu lang war und wahrscheinlich ihrem Mann gehört hatte.
»Ich auch nicht, Jana.«
Die Frau nickte. Mit einer Hand stützte sie sich am Kamin ab. »Sie sind in der Nähe, nicht wahr?«
»Kann sein, ich…«
»Nein, Wladimir, keine Ausreden! Ich habe sie selbst gehört. Ich hörte ihr Heulen wie eine grausame Todesbotschaft«, erklärte sie mit zitternden Lippen und auch sehr leise. »Es ist schlimm für mich gewesen, die Mörder meines Mannes in der Nähe zu wissen. Ich wäre am liebsten hinausgelaufen und hätte mich ihnen gestellt.«
»Das wäre nicht gut gewesen.«
»Stimmt.«
Sie ging weg und öffnete einen Holzschrank. Die Flasche, die sie hervorholte, trug kein Etikett. Sie beinhaltete wahrscheinlich Selbstgebrannten Schnaps. »Haben Sie nicht von einer Medizin gesprochen, mein Freund?«
»Das stimmt.«
»Die brauche ich jetzt.«
Sie trank aus einem Wasserglas. Während es ihre Lippen berührte, hörten beide von draußen wieder die furchtbaren Geräusche.
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