0677 - Yaga, die Hexe
gewachsen war.
Aber Sergej war nicht leichtsinnig. Schon allein, weil er hier gebraucht wurde.
Er kniff die Augen zu Schlitzen zusammen. Ein Reiter näherte sich dem Dorf.
Der Druide war mißtrauisch. Wenn Berittene hierher kamen, bedeutete das selten etwas Gutes. Entweder waren es Steuereintreiber oder Räuber - was auf dasselbe hinauslief. Aber beide Varianten der gleichen Spezies pflegten für gewöhnlich rudelweise aufzutreten; ansonsten könnte das Bauerngesindel ja frech werden und den Räuber oder Steuereintreiber erschlagen.
Der Reiter kam näher und entpuppte sich als Reiterin.
Es handelte sich um eine junge Frau. War dies schon ungewöhnlich genug, entpuppte sich ihr Reittier als noch ungewöhnlicher.
Es handelte sich zweifellos um ein weißes Einhorn.
***
Yaga sah sich um. Sie war auf der Suche nach einer neuen Bleibe. Sie war des Umherziehens müde, und sie hatte beschlossen, unter den Menschen zu leben, als junge Frau und friedlich. Hier gefiel es ihr. Das Dorf war klein und ärmlich, und es besaß eine Kirche. Eine bessere Tarnung konnte es kaum geben; niemand würde sie hier suchen, in unmittelbarer Nähe der Feinde aller Hexerei.
Faszinierend fand sie auch die Ritterrüstung, die sich auf einem kleinen Platz am Dorfrand erhob. Yaga spürte eine seltsame, magische Kraft, die in diesem Eisen lauerte. Eine fremde, für Yaga bedrohliche Magie. Aber zugleich auch eine Herausforderung.
Sie lachte leise auf. Doch, hier würde sie sich niederlassen können.
Sie ritt zu der kleinen Schmiede hinüber, wo ein hünenhafter Muskelmann mit seinem riesigen Hammer glühendes Eisen formte. Sie sprang von ihrem Einhorn. Der Schmied bemerkte sie, wandte sich ihr zu. Er sah kein Einhorn; er sah nur ein weißes Pferd. Normalen Sterblichen blieb der Zauber dieses wundervollen Tieres verborgen.
»Ich bin Wanja«, sagte der große Mann. »Kann ich Euch helfen, gospodina ? Neue Eisen an die Hufe Eures Pferdes? Oder sonst etwas? Ihr seid doch nicht etwa allein unterwegs?«
»Ich bin es«, sagte Yaga und nannte ihren Namen. »Ich möchte bei euch wohnen«, fuhr sie fort, »wenn niemand etwas dagegen hat. Vielleicht für kurze Zeit, vielleicht für Jahre, vielleicht für immer.«
»Ihr werdet den Ältesten fragen müssen«, sagte Wanja. »Gleich nebenan steht ein kleines Haus seit längerer Zeit leer. Vielleicht könnt Ihr darin wohnen. Geht zum Ältesten. Er wohnt - ah, ich sehe unseren Priester. Er wird Euch sicher zu ihm führen. Ich sorge derweil für Euer Pferd.«
»Nein, bitte«, wehrte Yaga ab. »Tut das nicht. Darum kümmere ich mich schon selbst. Es ist ein sehr eigenwilliges, unruhiges Tier, das nur mich in seiner Nähe duldet. Ich möchte nicht, daß es Euch verletzt, gospodin Wanja.«
»Nennt mich nur Wanja. Ich bin ein einfacher Mann, kein Herr«, sagte der Schmied und sah stirnrunzelnd zu Yagas Schimmel. »Eigentlich habe ich mich bisher noch mit jedem Pferdchen einigen können«, fügte er hinzu. »Als Schmied muß man das wohl können. Aber wenn Ihr meint…«
»Ich danke Euch, aber ich werde schon selbst Sorge tragen«, erwiderte Yaga. »Danke Euch für die freundlichen Worte.«
Das vermeintliche Pferd war nun mal ein Einhorn und stand menschlichen Männern von Natur aus aggressiv und ablehnend gegenüber. Yaga wollte nicht, daß ihr fabulöses Reittier durch die Annäherung eines Mannes in Panik geriet und ihn verletzte oder gar tötete. Das wäre ein schlechter Einstand in diesem Dorf gewesen…
Sie sah den Mann in der Kutte, der von der winzigen Kirche her heranschlenderte, aber ehe sie sich ihm zuwandte, führte sie ihr Einhorn zu dem kleinen Haus, das Wanja ihr gezeigt hatte, und band das Tier an den Zaun. Besitzergreifend betrachtete sie das leerstehende Haus; es gefiel ihr, und sie dachte, daß sie sich hier wohlfühlen konnte.
Dann ging sie dem Priester entgegen.
Der kein Priester war, sondern ein Zauberer.
Ein Druide.
Noch dazu einer, der nicht unbedingt ein Mensch war. Yaga hatte davon gehört, daß es solche Druiden geben sollte, die nicht dem Glauben der alten Kelten angehörten, welche weit im Westen jenseits der Berge lebten, so weit entfernt, daß man ein ganzes Leben brauchte, um dorthin zu gelangen, wie mancher munkelte.
Und dieser Druide erkannte Yaga sogleich als das, was sie war.
***
Mit der Genehmigung des Dorfältesten, der rasch eine Versammlung einberief und die anderen Bewohner befragte, bezog Yaga das kleine Haus. »Ich kann dir helfen, es wohnlich zu machen«,
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