0679 - Der Blutbrunnen
erntete einen erstaunten Blick des Portiers. »Sie ist aber langsam gegangen«, rief er mir noch nach, als ich durch den Eingang huschte und im breiten Schein der Außenleuchte stehenblieb.
Veronique Blanchard war verschwunden. Ich blickte nach links, wieder nach rechts und kam mir wegen der Heftigkeit meiner Bewegungen schon wie ein Clown vor.
Mein Suchen blieb erfolglos. Sie hatte den Lichtschein längst verlassen. Ich gab trotzdem nicht auf und lief auf einen der Parkplätze, bei denen die aufgeschaufelten Schneemengen ebenso hoch waren wie das begrenzende Buschwerk. Auch hier hielt ich vergeblich nach der Franzosin Ausschau. Nicht einmal das Echo ihrer Tritte hatte ich vernommen. Ich war geleimt worden und fluchte wütend.
Erst kippte diese Person Blut über mich, dann lud sie mich nach Frankreich ein, um dort eine Aufgabe zu erledigen. Wenn ich nichts unternahm, würden Menschen sterben.
Warum gerade ich?
Es mußte da eine Verbindung zwischen Hector de Valois, der Frau, dem Blutbrunnen, einem geheimnisvollen Teufelsboten und mir geben. Da stand noch eine alte Rechnung offen, die ich begleichen sollte.
Ziemlich durchgefroren kehrte ich zurück in das warme Foyer des Hochhauses. Der Nachtportier hatte sein Kreuzworträtsel und seine Loge verlassen und kam auf mich zu. In der rechten Hand hielt er einen Briefumschlag und schwenkte ihn.
»Für mich?«
»Ja, Mr. Sinclair. Die Lady, die auf Sie gewartet hatte, übergab ihn mir.«
»Danke sehr.« Ich nahm den Umschlag an mich und wog ihn in der Hand. Er war für einen Brief relativ schwer. Da mußte schon mehr Papier zusammengefaltet sein.
»Sonst alles okay, Sir?«
Ich klopfte dem Mann auf die Schulter. »Ja, mein Lieber. Und lassen Sie sich nicht von fremden Frauen ansprechen. Gute Nacht dann.«
»Ja, gute Nacht.«
Ich fuhr wieder nach oben, wo Suko noch in meiner Wohnung wartete und mich mit einem vorwurfsvollen Blick auf die Uhr empfing. »Ich hatte beinahe einen Suchtrupp engagiert, John.«
»Nicht nötig. Ich bin ja hier.«
»Und was war?«
Ich warf den Brief auf den Tisch »Sagt dir der Name Veronique Blanchard etwas?«
Suko überlegte nicht lange. Sehr schnell schüttelte er den Kopf.
»Tut mir leid, nichts.«
»Sie wartete unten auf mich.«
»War das die Person, die dich mit Blut begossen hat? Wie hast du dich revanchiert?«
Ich runzelte die Stirn. »Überhaupt nicht. Zudem habe ich von ihr eine Einladung nach Frankreich bekommen. Das Kaff heißt Coray und liegt in der Bretagne.«
»Eine tolle Wiedergutmachung, Kompliment.«
»Das ist es wohl nicht«, murmelte ich, setzte mich und berichtete Suko von dem Gespräch.
Er lachte hart in den Raum hinein. »Erpressung also. Na, wie finde ich denn das?«
»So ähnlich denke ich auch.«
»Und – sollen wir uns den Blutbrunnen anschauen?«
»Ich weiß es nicht. Sie will morgen noch einmal anrufen. Dann können wir ihr unsere Entscheidung mitteilen.«
»Wie großzügig. Was bedeutet der Brief?«
»Ach so, ja, den hatte ich ganz vergessen«. Bevor ich ihn öffnete, trank ich einen Schluck Mineralwasser. Suko hatte die Flasche geholt und geöffnet.
Ich hatte mit meiner Vermutung recht behalten. Der Inhalt des Umschlags bestand in der Tat aus mehr als aus nur einem Blatt Papier. Vier Fotokopien rutschten in meine auffangbereite Hand.
Suko schaute mir über die Schulter hinweg zu, als ich sie auseinanderfaltete. Ich wußte den Grund selbst nicht, aber plötzlich zitterten meine Finger.
»Was soll das denn?« flüsterte der Inspektor. »Das sind ja Todesanzeigen.«
»Genau.«
Ich legte die vier Anzeigen nebeneinander auf den Tisch. Die Namen sagten mir nichts, und ich fragte mich, weshalb mir Veronique Blanchard die Anzeigen überreicht hatte.
»Komisch«, murmelte Suko.
»Fällt dir nichts auf?«
»Nein, so schlau bin ich nicht.«
Ich wußte auch nicht, was das bedeutete. Wir lasen sie noch einmal sehr genau durch – und kamen zugleich auf die Lösung.
So unterschiedlich die verstorbenen Personen auch vom Geschlecht und Alter her waren, eines aber hatten sie gemeinsam.
Sie waren alle vier am selben Tag gestorben!
»Das ist es also«, murmelte Suko und schob seine beiden Anzeigen zur Seite »Vier Tote an einem Tag. Ich schätze, jetzt siehst du die Einladung aus einer anderen Sicht. Sagte sie nicht, daß noch mehr Menschen sterben würden, wenn du nicht in diesem komischen Kaff erscheinst?«
»Das sagte sie tatsächlich.«
»Dann sollten wir die Einladung doch annehmen, finde
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