0679 - Der Blutbrunnen
wurden sie eingestimmt.«
»Auf was?« fragte Veronique.
»Auf ein Finale. Es muß einfach zu einer Veränderung kommen. Dieser Teufelsbote ist nicht grundlos erschienen. Ich rechne damit, daß er den Blutbrunnen wieder füllen wird. Stellen Sie sich vor, Veronique, wie viele potentielle Opfer sich in Coray befinden. Durch ihr Blut kann der Brunnen gefüllt werden.«
»Hören Sie auf. Daran will ich gar nicht denken. Das wäre ja furchtbar, das wäre schrecklich.«
»Sie sagen es.«
Wir hatten den Kirchplatz mittlerweile verlassen, ohne einen Menschen gesehen zu haben. Trotzdem spürte jeder von uns, daß es im Dorf eine Veränderung gegeben hatte. Alles war anders geworden.
Man konnte von einer erwartungsvollen und lauernden Stille sprechen. Eine Stille, in der trotz allem auch die Menschen eine Rolle spielten.
Sie waren nicht alle in ihren Häusern verschwunden. Das sahen wir, als wir die Hauptstraße erreichten. Sie standen da und warteten. In der Überzahl Männer.
Wie dunkle Figuren wirkten sie auf der hellen Schneefläche. Die Sonne war bereits tiefer gesunken und zu einem rötlichen Ball geworden.
Kein Fahrzeug rollte über die schneebedeckte Fahrbahn, aber neben den Wagen standen ebenfalls Bewohner, die mit bleichen Gesichtern und düsteren Blicken ins Leere schauten, uns aber dabei geflissentlich übersahen. Es waren Wächter, Aufpasser, Wartende, die sich auf ein bestimmtes Ereignis eingerichtet hatten.
»Das ist ja furchtbar!« flüsterte Veronique. Sie schluckte. »Schauen Sie sich das mal an. Ich kenne jeden von ihnen. Ich habe sie alle gesehen, ich kenne sie mit Namen, aber ich habe sie noch nie zuvor so erlebt. Das kann ich kaum glauben.«
»Wie wäre es, wenn Sie einen ansprechen«, schlug ich vor.
»Und dann?«
»Sie können fragen, was die Menschen hier vorhaben. Ihnen wird man sicherlich antworten.«
»Ja, ich kann es versuchen.«
Sie ging mit langsamen Schritten vor, und zwar dorthin, wo eine Frau stand. Sie hatte ihren Platz vor einem Schuppen aufgebaut. Er besaß ein schiefes Dach. Durch die Schneelast sah er aus, als würde er jeden Augenblick zusammenbrechen.
Suko und ich blieben zurück und ließen die Frau allein gehen.
Hörbar schritt sie durch den Schnee. Die anderen Frauen rührten sich nicht. Sie nahm von Veronique überhaupt keinen Kontakt und starrte einfach nur ins Leere hinein.
Sie trug einen Mantel aus Stoff, mit sehr breiten Schultern. Die Stiefel hatten Fellfütterung.
»Hallo…«
Das Wort verwehte, ohne daß die Angesprochene darauf reagierte.
Veronique Blanchard versuchte es noch einmal und bekam abermals keine Antwort. Hilflos hob sie die Schultern, drehte sich um und schaute uns an.
»Laß uns mal hingehen.«
»Und dann?«
Ich lächelte. »Das wirst du schon sehen.«
»Mach nur keinen Ärger, Alter.«
Den wollte ich nicht unbedingt provozieren, aber ich mußte einfach herausfinden, aus welch einem Grund sich die Menschen derartig verändert hatten. Standen sie tatsächlich schon unter dem Bann des Teufelsboten, oder befanden sie sich noch in einer Wartestellung.
Veronique kam uns entgegen. Sie wirkte ratlos. »Ich habe alles versucht, was Sie ja gesehen haben. Aber die Frau reagierte einfach nicht. Sie schaute mich an, ohne mich zu sehen. Kennen Sie das?«
»Bestimmt.«
»Und – wollen Sie es versuchen?«
»John Sinclair wird es«, sagte Suko und deutete auf mich. »Er hat einen Plan.«
»Welchen denn?«
»Hat er mir nicht gesagt.«
»Wollen Sie die Frau wecken?« Veronique lachte selbst über ihre Frage. Meine Antwort erstaunte sie dann.
»So ungefähr, aber bleiben Sie bitte bei Suko zurück. Ich möchte mich allein um sie kümmern.«
»Wenn Sie meinen.«
Ich überwand die letzten Meter, die mich von der fremden Person noch trennten.
Sie schaute ins Leere, sie nahm mich nicht wahr, obwohl ich in ihrem Blickfeld stand. In der Tasche befand sich mein Kreuz. Vom Ort her hörte ich keinen Laut, nicht einmal ein Hüsteln drang durch die klare Winterluft.
Ich holte das Kreuz langsam hervor. Noch behielt ich die Faust darum geschlossen, denn ich wollte die Frau mit dem Anblick überraschen und gleichzeitig konfrontieren. Wenn sie tatsächlich unter einem fremden Bann stand, würde sich dieser durch mein Kreuz auch lösen. Davon war ich einfach überzeugt.
Dann sah sie das Kreuz!
Ich hielt es so hoch, daß es zwischen ihrem und meinem Gesicht pendelte.
Noch waren die Züge der Frau starr, aber sie konnte einfach nicht daran vorbeischauen.
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