0679 - Der Blutbrunnen
zugefroren. Von den Reklameschildern hingen lange Eiszapfen herab. In der Tat führte ein schmaler, tief verschneiter Weg von der Tankstelle aus in das Gelände hinein, und es war auch die Strecke, die uns zu unserem ersten Ziel brachte, dem geheimnisvollen Blutbrunnen.
Bis zum dunklen Rand des schmalen Waldstreifens brauchten wir nicht zu fahren. Aber wir kamen auch mit dem Wagen nicht bis direkt an den Brunnen heran, weil ein vereister Buschgürtel uns die Weiterfahrt versperrte.
»Es sind wirklich nur mehr ein paar Schritte«, erklärte Veronique, als sie die Tür öffnete und in die Kälte kletterte.
»Gut.«
Sie blieb an meiner Seite, Suko stampfte hinter uns durch den Schnee, der an dieser Stelle noch nicht festgetrampelt war. Wir versanken bis zu den Schienbeinen.
Die Frau fand die Lücke sehr schnell, durch die wir uns zwängen mußten. Sie berichtete noch, daß hier in früherer Zeit ein Pavillon gestanden hatte, der den Brunnen schützte. »Dort haben die beiden dann gegeneinander gekämpft.«
Als sie dieses Thema anschnitt, überrieselte es mich kalt. Es war schon seltsam, den Platz zu besichtigen, wo der Mann gekämpft hatte, der einmal Besitzer des Kreuzes gewesen war, das ich nun trug.
Dieser Mann war in mir wiedergeboren.
Endlich standen wir vor dem Blutbrunnen. Von Blut war nichts zu sehen. Er bestand aus einem Auffangbecken mit drei runden Steinen von unterschiedlichen Durchmessern darüber. Aus dem letzten Stein ragte ein Dreieck hervor, das sich aus mehreren Steinkugeln zusammensetzte, die so geschichtet waren, um die Figur bilden zu können.
Ich ließ Veronique und Suko stehen, um den Brunnen zu umrunden. Mein Blick tastete sich durch das Auffangbecken. Es war ebenso verschneit wie der Rest des Brunnens. An den Rändern der runden Mühlsteine klebten dicke Eiszapfen.
Nichts Außergewöhnliches zeichnete den Brunnen aus. Ich legte mein Kreuz auf einen Stein und erlebte keine Reaktion. Es war kaum vorstellbar, daß der Brunnen einmal durch Menschenblut zu einem schaurigen »Leben« erweckt werden könnte.
Ich schaute Suko und Veronique an, die auf der gegenüber liegenden Seite standen. »Nichts«, sagte ich leise. »Keine Reaktion durch mein Kreuz.«
»Meinst du, daß wir uns geirrt haben könnten.«
»Nein, nein!« rief die Frau und wehrte mit beiden Händen ab.
»Das ist kein Irrtum.« Sie breitete die Arme aus, als wollte sie den Brunnen umfassen. »Ich sage Ihnen, daß er ihn wieder zum Leben erwecken wird. Es ist nur noch nicht seine Zeit.«
»Die werden wir hier auch nicht abwarten!« entschied ich. Als ich zum Wagen kam, saßen Suko und Veronique bereits in ihm. Die Frau schaute zurück zum Brunnen.
»Er sieht so harmlos aus«, flüsterte sie. »Aber in ihm wohnt das Böse, der Teufel…«
Ich enthielt mich eines Kommentars. Ein bedrückendes Gefühl aber blieb bei mir zurück, denn ich dachte auch an die Bewohner von Coray, die wegen dieses Teufelsdieners ihr Blut verlieren sollten.
Hoffentlich konnten wir das verhindern…
***
Veronique Blanchard schaute den beiden Männern nach, als sie ihr Haus verließen. Trotz der Kälte stand sie in der offenen Tür, und sie wünschte sich, daß sie es schaffen würden. Es war dabei geblieben, sie wartete so lange in ihrem Haus, obwohl sich die junge Witwe dabei nicht wohl fühlte, aber es war das kleinere der beiden Übels gewesen, und sie hoffte, daß sich der Teufelsbote nur auf die Menschen konzentrierte, die ihn gerufen hatten.
Andererseits konnte sie sich darauf nicht verlassen, denn auch sie zählte zu den Bewohnern von Coray, und deshalb saß die Angst wie Leim in ihrem Magen und klumpte sich dort fest.
Erst als die Rücklichter kaum noch zu erkennen waren, schloß sie die Tür. Allein schritt sie durch die große Halle. In allen Räumen hatte sie das Licht eingeschaltet, weil sie sich einfach vor der Dunkelheit fürchtete.
Sie blieb neben dem Kamin stehen und schaute in die Flammen.
Holz war genug vorhanden. Sie warf einige Scheite nach und ging zur Hausbar, wo zahlreiche Getränke standen. Die Frau entschied sich für einen alten Cognac. Sie trank ihn langsam. Er rann die Kehle hinab in den Magen, wärmte ihn durch, aber den Klumpen der Furcht konnte er nicht auflösen.
Allein in einem großen Haus.
Veronique gehörte nicht zu den Menschen, die sich schnell fürchteten. Nach dem Tod ihres Mannes war es für einige Monate schlimm gewesen, dann hatte sie sich allmählich daran gewöhnt, daß sie nicht mehr seine
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