0680 - Todeskuß der Schattenhexe
Dunkelheit…
***
Der junge Kid hatte gespürt, wie der helle Strahl über sein Gesicht gewandert war, aber so getan, als würde er weiterschlafen. Tatsächlich aber war er hellwach.
Er konnte einfach nicht schlafen, denn er hatte die gesamte Zeit über an den Schotten gedacht und ihn auch bei seinen Handlungen beobachtet. Dabei war ihm aufgefallen, dass sich John beim Trinken noch stärker zurückgehalten hatte als beim Essen, und das war sicherlich nicht grundlos geschehen.
Da musste einfach etwas dahinter stecken. Aber was? War er möglicherweise ein Spion?
Nur - was konnte ein Spion hier schon auskundschaften? Da gab es kaum etwas.
Oder ein Bulle!
Die Idee kam ihm plötzlich. Wäre auch natürlich gewesen, dass sich ein Bulle zwischen die Berber schmuggelt, von denen drei ermordet worden waren.
Kid bekam eine trockene Kehle, als er daran dachte. Er fühlte sich plötzlich wie jemand, der dazu berufen war, einen Fall aufzuklären. Er wollte genau wissen, was John tat.
Sein Zimmer hatte er verlassen, hielt sich im Gang auf, und Kid hörte die Schritte des Mannes.
Sie schleiften über den Boden, manchmal knirschten sie auch nach, aber sie entfernten sich wieder.
Für Kid stand fest, dass er sich nicht hinlegen würde. Wenn er tatsächlich ein Bulle war, musste er anderen Aufgaben nachgehen.
Kid stand auf.
Er bewegte sich dabei so vorsichtig wie möglich. Seinen Mantel behielt er an, auch wenn der Stoff beim Gehen raschelte. Das war ihm jetzt egal. Als er um die Türecke herum in den Gang schaute, fand er ihn leer. Vom Schotten sah er nicht einmal mehr die Hacke. Kid bewegte sich schneller als der Verfolgte und stellte fest, dass dieser nach unten gegangen war, sogar in den Keller.
Als der Junge dies bemerkte, stand er auf dem ersten Treppenabsatz und dachte darüber nach, was er unternehmen sollte.
Nein, der Schotte war nicht in den Keller gegangen. Die Echos der Schritte hatten ihn getäuscht. Er ging jetzt auf den Ausgang zu, und Kid zog sich zurück, wobei er sich im Gleichklang mit den Schritten des anderen bewegte. Da merkte der Neue nichts.
Zum Glück wollte er nicht mehr in die erste Etage zurück, sondern bewegte sich auf die Ausgangstür zu.
Weshalb? Was war geschehen? Durch Kids Kopf rasten die Gedanken, auf die er sich keinen Reim machen konnte. Er schaffte es auch nicht, sie in die richtige Reihenfolge zu bringen. Doch er ahnte, dass hier ein Spiel ablief, dessen Karten er nicht kannte.
Dieses Spiel brachte auch Probleme mit sich. Und sie waren ihm - das musste er ehrlich zugeben - über den Kopf gewachsen. Allein kam er nicht weiter, er brauchte einen Ratschlag.
Lupo war der Chef!
Immer wenn es brenzlig wurde, wandten sich die anderen an ihn, denn er wusste zumeist Rat.
Kid hielt nichts mehr auf seinem Beobachtungsposten. So lautlos wie möglich huschte er die Treppenstufen hoch. Er musste einfach mit Lupo sprechen, auch wenn er ihn aus dem Schlaf riss, was Lupo zumeist sauer machte.
Er schlief diesmal nicht allein. Dort, wo sie gefeiert hatten, lag er auf dem Boden, eingepackt in seinen graugrünen, etwas angeschimmelten Schlafsack, der auch nicht mehr das war, was er eigentlich sein sollte. Nur der Kopf schaute hervor.
Lupo lag im Tiefschlaf. Der Mund stand offen, die grunzenden Schnarchtöne wehten gegen die Decke und verteilten sich dort als Echos innerhalb des Zimmers.
Neben dem Schläfer beugte sich Kid nieder. Er zögerte noch, dann stieß er ihn an, was Lupo allerdings nicht störte, denn er schlief weiter. Nur kurz zuckte er zusammen, grunzte und schnarchte in einem fort. So ging es nicht.
Kid griff zur Radikal-Methode, indem er dem Schläfer einfach den Mund zuhielt.
Das half.
Der Körper zuckte ebenso wie der Kopf, die Augen bewegten sich, dann war er wach.
»Lupo…«
Eine Fahne aus Alkohol und säuerlichen Essensresten strömte Kid entgegen. Er brauchte nur in die Augen des anderen zu sehen, um zu erkennen, wie sauer Lupo war.
»Hau ab!«
»Ich muss mit dir reden.«
»Verdammt, nein! Ich will meine Ruhe haben!«
»Ich habe aber etwas gesehen.« Kid ließ nicht locker. »Das musst du dir anschauen.«
»Ich will nicht, zum Teufel. Wenn du nicht die Mücke machst, nehme ich dich auseinander.«
Kid kannte den Chef zwar noch nicht lange, immerhin lange genug, um zu wissen, wann er aufzuhören hatte. Das war jetzt der Fall. Lupo konnte sonst zum Schwein werden, und Kid wollte sich nicht mit zerschmettertem Gesicht irgendwo im Gang liegen sehen.
»Schon gut,
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