0681 - Leichenschiff der Druiden
aus wie eine Mensch gewordene Pflanze.
Den Kraken vergaß ich, er rührte sich auch nicht mehr, es war nur der Totengott, der auf dem Leichenschiff stand und allein durch seine Persönlichkeit das Deck ausfüllte.
Ob er mir feindlich gegenüberstand, konnte ich nicht erkennen. Zumindest war er in dieser Situation ein Neutrum für mich, ein Wesen zwischen Mensch und Pflanze, einfach ein Objekt.
Der Körper bestand aus dunkelgrünen Lianen, Pflanzen und auch Zweigen. Sie bildeten einen Wirrwarr, ein ineinander verschlungenes Etwas, von den Füßen bis zum Kopf, wobei ein Gesicht so gut wie nicht zu sehen war. Nur die Andeutung davon, denn ich entdeckte weder eine Nase, einen Mund noch Ohren, nur eben diese Pflanzen, die ineinander verschlungen waren wie grüne Riemen.
Eine ungewöhnliche Figur, ein Totengott, aber nicht ägyptisch, denn sein Aussehen wies mehr auf die Druiden hin, und damit auch irgendwie auf Aibon.
Ich wollte es genau wissen und holte mein Kreuz hervor. Kaum lag es auf der Hand, als der grüne Schein darüber hinwegflirrte und mir bewies, womit ich es zu tun hatte.
Also Aibon…
Er ging weiter. Es waren Bewegungen, die mir seltsam erschienen. Er ging, als bestünde er aus dickem Gummi, zudem leicht federnd, als wollte er sich bei jedem Schritt von den Planken abstoßen.
Er hatte auch Arme, Hände ebenfalls, und die streckte er aus, wobei er sie gleichzeitig spreizte.
Es war die Bewegung eines Zauberers, denn etwas veränderte sich. Es war nicht sichtbar zu merken, ich spürte nur, dass der Totengott die Macht über sein Leichenschiff bekommen hatte. Plötzlich konnte er auch reden. Seine Worte wirkten wie ein leises Flüstern, sie drangen irgendwo aus dem pflanzenartigen Gesicht und berichteten mir von der großen Befreiung und den alten Zeiten, die zurückgekommen waren.
»Was willst du denn?«
»Ich werde wieder meine alte Stelle einnehmen, wo ich vor mehr als tausend Jahren lehrte und Ratschläge gab. Die Zeit der Druiden ist reif. Die Menschen denken wieder. Damals hat ein Missionar die Eiche gefällt und mir meinen Hort geraubt. Sie konnten die Eiche zerstören, aber sie schafften es nicht, die Magie zu rauben. Sie hat die Jahre überstanden, und es bedurfte zweier Männer, um sie wieder an die Oberfläche zu locken. Die Männer sind erschienen, sie heißen Rami und Ray, sie werden alles vorbereitet haben. Und selbst der Schneemensch aus den Bergen wird wieder an meiner Seite sein.«
»Die Bestie?«
»Er ist keine Bestie, er ist ein Wächter. Er hat versucht, mich zu beschützen. Damals gab es noch einige Exemplare in den Bergen. Nur wenige Menschen wussten von ihm. Sie hielten sich zumeist versteckt. Als ich ging, da ging er auch. Ich gab ihm die Chance, nach Aibon abzutauchen und dort so lange zu warten, bis meine Zeit kam. Jetzt ist sie da, Fremder.«
»Du warst also in Aibon?«
»Ja, das Leichenschiff brachte mich dorthin. Der Eichenbaum verging, und auch ich veränderte mich. Ich wurde zu einem Stück Natur, zu einem Wesen zwischen Pflanze und Mensch, wie du sehen kannst. Aber ich werde wieder so werden wie damals, denn auch mein Beschützer hat das Paradies der Druiden verlassen.«
»Auf welcher Seite des Paradieses bist du gewesen?«
»Bei ihm.«
»Du meinst Guywano?«
»Ja.«
Da wusste ich Bescheid, denn Guywano gehörte der andere Teil des Paradieses, denn Aibon hatte, wie fast jede Welt, zwei Seiten. Eine wunderbare, eine friedliche, und eine, in der das Grauen Einzug gehalten hatte. Ich kannte beide Welten.
Da er sich in Guywanos Welt aufgehalten hatte, stand für mich fest, dass er mein Gegner war, aber das sagte ich ihm nicht. Stattdessen fragte ich nach dem Kraken.
»Er ist ebenso mein Beschützer wie der Schneemensch. Damals gab es sie noch, als Riesenkraken. Sie kamen aus der Aibon-Welt, um sich in den Meeren hier umzuschauen. Oft genug haben Seeleute von ihnen berichtet, aber die Menschen nahmen die Berichte nicht ernst. Sie irrten sich, wie du siehst. Der Krake ist hier, um das Leichenschiff der Druiden sicher an sein Ziel zu bringen.«
»In die Mulde hinein?«
»So ist es vorgesehen. Der kleine Baum wird in dieser Nacht gepflanzt werden. Er ist noch jung, wird aber rasch wachsen und den Menschen zeigen, dass die Vergangenheit sie eingeholt hat. Wenn du mich ansiehst, wirst du erkennen können, dass in mir die Kraft der Natur steckt, die Kraft und der Saft des alten Baumes geben mir das Recht zurück, wieder zu herrschen.«
»Kannst du dir vorstellen,
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