0682 - Das Geisterkind
die Kreuzung musste unbedingt abgesperrt werden. Ich suchte nach Spuren und entdeckte einen dicken Schlauch, der parallel zur Gosse lag. Aus seiner Öffnung war das Öl hervorgepumpt worden. Der Schlauch rollte aus einem Gebüsch hervor, in dem ein großer Kanister versteckt war und eine Handpumpanlage.
Von einem Menschen war nichts zu sehen.
Ich ging auf die Kreuzung. So vorsichtig wie möglich umschritt ich die Öllache, hörte das Geräusch eines herbeifahrenden Wagens und winkte mit beiden Händen.
Der Fahrer des Lieferwagens sah mich rechtzeitig, stoppte, stieg schimpfend aus und meckerte nicht mehr, als er die Bescherung auf der Straße entdeckte.
»Au, verdammt«, flüsterte er, »wer macht denn so was?«
»Keine Ahnung, aber helfen Sie bitte mit, andere zu warnen. Polizei und Feuerwehr sind alarmiert.«
»Okay, mach ich.«
Auch Suko hielt Autos an, während ich das Licht meiner Lampe über die große Lache wandern ließ und doch erstaunt war, als ich die großen Scherben sah.
Sie schwammen auf und in der Lache. Ich erinnerte mich, das Geräusch von berstendem Glas gehört zu haben und war sicherlich in dieses Glas hineingefahren.
Wir würden uns später die Scherben näher ansehen. Zunächst einmal musste sich die Feuerwehr um die Beseitigung der Öllache kümmern, die nicht ins Grundwasser dringen durfte.
Polizisten sperrten die Umgebung ab und leiteten den Verkehr um. Die Lache wurde mit einem Schaumteppich bedeckt, der das Öl neutralisierte, bevor es abgepumpt wurde.
Wir stellten fest, dass die Gegend nicht so tot war, wie es den Anschein gehabt hatte. Wie Ratten aus den Löchern waren die Menschen erschienen, die meisten von ihnen nur notdürftig bekleidet, und das trotz der noch ziemlich kalten Nacht.
Sie alle standen da, staunten, und keiner konnte sich erklären, wie der Ölteppich auf die Fahrbahn gekommen war. Wenigstens hatten sie nichts gesehen.
Die Londoner sind an Anschläge gewöhnt. Gerade in letzter Zeit hatte die IRA wieder ihre Spuren hinterlassen durch Bombenanschläge an Bahnhöfen. Ein verdammt brutales und feiges Geschäft.
Kein Wunder, dass die Zuschauer diese Öllache auf der Kreuzung auch der Terrororganisation in die Schuhe schoben.
Ich sah das anders, hütete mich aber, meine Meinung öffentlich auszusprechen und hatte nur einen Feuerwehrmann darum gebeten, mir das größte Stück zu geben.
Es war beschmiert. Mit einem Taschentuch säuberte ich den hüfthohen Splitter notdürftig und hatte ihn dabei hochkant gegen einen Baumstamm gelehnt.
Suko kam zu mir. »Kannst du mit diesem Spiegel etwas anfangen?«
Ich schaute auf die goldene Flamme, die auf die Oberfläche des Spiegels gezeichnet worden war.
»Im Prinzip nicht. Ich gehe nur davon aus, dass es kein normaler Spiegel ist.«
»Stimmt nur teilweise.«
»Dann kläre mich bitte auf.«
Suko hockte sich neben mich. »Das ist ein normaler Spiegel. Er wurde nur mit goldenen Flammen bemalt, und ich habe ihn oben in Schottland zum ersten Mal gesehen, als dein Vater und ich das Refugium der beiden Künstler betraten.«
Ich schaute ihn skeptisch an. »Und du irrst dich nicht, Alter?«
»Nein, John. Dieser Spiegel existierte. Rami und Ray haben ihn hergeschafft, auf die Kreuzung gestellt, ihn angeleuchtet und deshalb diesen ungemein starken Blendeffekt geschaffen. Die goldene Bemalung hat das Licht in seiner Stärke noch einmal vervielfältigt.«
»Zusammen mit der Öllache war das ein Mordversuch.«
»Sieh es, wie du willst, John.«
Ich erhob mich und dachte an dieses Künstlerpaar, das Suko besser kennen gelernt hatte als ich. Er hatte mir von ihnen berichtet, und ich hatte die beiden eigentlich als relativ harmlos eingestuft. Dieses Resultat musste ich nun revidieren. Außerdem waren sie nicht so unbedarft, denn sie hatten meinen Vater und mich angegriffen.
»Was denkst du?« fragte Suko.
Ich hob die Schultern. »Das ist ganz einfach. Wir sollten uns daran gewöhnen, dass sie sich in London aufhalten und uns auf ihre Abschussliste gesetzt haben.«
»Stimmt.«
Sukos Stimme hatte mir nicht gefallen. »Was hast du dir noch ausgedacht? Was steckt dahinter?«
»Ich will dich nicht belehren, John, aber ich kenne die beiden besser als du. Deshalb kann ich mir nicht vorstellen, dass sie sich auf diese Anschläge festlegen wollen.«
»Was dann?«
»Weißt du, John, diese beiden sind trotz allem etwas Besonderes. Sie sind einen bestimmten Weg gegangen, um eine Brücke zwischen den Welten schlagen zu können. Sie
Weitere Kostenlose Bücher