0682 - Das Geisterkind
und extra von ihr Abschied nehmen wollte.
Oder aber die Totenklaue des Sensenmannes, der beim Sterben ebenfalls allgegenwärtig war.
Seltsam - alles war so seltsam. Kate verspürte nicht einmal eine tiefe Trauer, was doch normal gewesen wäre. Sie dachte auch nicht an ihre tote Tochter und hörte sich selbst ein altes Kinderlied summen, das man ihr vor Jahren beigebracht hatte.
Alles war so anders.
Sie stand endlich auf und drehte sich so, dass sie den starren Körper auf dem Bett anschauen konnte.
Ja, es stimmte. Millie lebte nicht mehr. Sie lag dort wie ein Stück Wachs mit menschlichen Umrissen, und das Gesicht hatte einen gelblichen Schimmer angenommen, was selbst in der Dunkelheit des Zimmers auffiel.
Kate nickte der Toten zu. Es war ihr Abschied, sie wollte nicht noch einmal das Licht einschalten, um Millie direkt zu sehen. Sie musste jetzt andere Dinge tun. Anrufe tätigen, das Kind musste eingesargt werden, welch schrecklicher Ausdruck! Ihr Vater sollte auch Bescheid bekommen, das war sie ihm schuldig. Der ganze Papierkram würde ihr hoffentlich abgenommen werden. Und war die Wohnung nicht zu klein?
Kate Foreman verließ das Zimmer mit den Schritten einer Betrunkenen. Daran trug nicht der Alkohol die Schuld, es war einzig und allein ihr seelischer Zustand, der sich in dieser Haltung widerspiegelte. Sie wirkte so, als suchte sie eine Öffnung, durch die sie im Boden verschwinden konnte, um nie wieder aufzutauchen.
Noch immer klang die Stimme ihrer Tochter in ihrem Hirn nach. Sie hatte sich trotz des Stresses die letzten Worte merken können, und sie vergaß auch nicht, dass sich Millie praktisch selbst durch ihre Todessehnsucht ums Leben gebracht hatte.
Eine schon vorprogrammierte Tat.
Sie ging in die Küche, ohne dass sie es richtig mitbekam. Erst als sie vor der Spüle stand, fiel ihr ein, was sie in diesem Raum gewollt hatte.
Kate öffnete den Kühlschrank und entnahm ihm eine Flasche mit Mineralwasser. Sie drehte den Verschluss auf, trank und starrte dabei mit glanzlosen Augen ins Leere.
Millie war tot!
Scharf wie die Klinge eines Messers raste der Gedanke durch ihr Gehirn und erschreckte sie dermaßen, dass sie die Flasche nicht mehr halten konnte. Sie knallte zu Boden und zerbrach dort in zahlreiche, kleine Teile, die in alle Richtungen weghüpften.
Wie in Trance schaute die Frau auf die Scherben, ohne dass es ihr bewusst wurde, was geschehen war.
Millie war tot!
Nur das zählte für sie und nichts anderes mehr. Sie drehte sich um. Ihre Füße schleiften dabei durch die Scherben. Das Glas rutschte über den glatten Boden.
Und dann schellte es!
Millie empfand dieses Geräusch als schrill, als brutal, als einen Eingriff in ihre Intimsphäre. Sie konnte sich nicht vorstellen, wer um diese Zeit etwas von ihr wollte. Jetzt, mitten in der Nacht, in den frühen Morgenstunden. Sie wollte allein bleiben und Wache bei ihrer toten Tochter halten. Das Klingeln störte sie.
Kate wusste nicht, wer Einlass begehrte, aber sie hasste diese Person bereits jetzt, und sie nahm sich vor, ihr keinesfalls die Tür zu öffnen. Das Klingeln blieb, und der Besucher unterstützte die Laute noch durch ein hartes Klopfen.
Kate verließ die Küche. Im breiten Flur blieb sie stehen. Der Totengräber war es bestimmt nicht, irgendein Fremder, der nichts von ihrem Leid wusste.
Oder doch nicht?
Bisher hatten sie Fremde niemals zu dieser nachtschlafenden Zeit besucht. Vielleicht war es jemand, der ihr Trost spenden konnte, und sie ging zur Tür, als die Glocke erneut anschlug.
Kate öffnete noch nicht. Sie musste zweimal ansetzen, um die Frage zu formulieren. »Wer - wer sind Sie?«
»Bitte, Mrs. Foreman, öffnen Sie. Bitte, Sie tun sich selbst und uns damit einen Gefallen. Sogar Ihrer Tochter.«
»Die ist tot!«, schrie Kate und erschrak selbst über die eigene Reaktion.
»Das ist uns bekannt.«
Uns hatte der Sprecher gesagt. Dann war er nicht allein. Er hatte zumindest noch eine Person mitgebracht. Die Stimme war ihr nicht bekannt. Vor der Tür standen Fremde. Die wiederum schienen trotzdem Bescheid zu wissen. Möglicherweise hatten sie Millie gekannt. In dieser Lage kam ihr einfach alles in den Sinn.
»Öffnen Sie doch, Mrs. Foreman. Es ist zu Ihrem Besten!«
Kate nickte, obgleich die anderen sie nicht sehen konnten. »Ja«, sagte sie leise, »ich werde öffnen.«
Zuerst entriegelte sie die Tür, dann drehte sie den Schlüssel, schließlich zog sie die Tür auf.
Zwei Männer standen vor ihr, fremde
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