0685 - Tod aus der Tiefe
musste so weit wie möglich von der Feuerqualle weg, die halb unter ihm so prachtvoll aus sich selbst heraus leuchtete und ein faszinierendes Aussehen zeigte, dem man nur allzu schnell verfallen konnte.
Er bedauerte, dass er zu sehr Mensch war. So unterlag er auch zu sehr den biologischen Gesetzmäßigkeiten, den Handicaps. Er hätte tatsächlich nicht allein tauchen sollen.
Plötzlich war die Riesenqualle wieder bei ihm. Sie musste eine Art Sprung durch das Wasser gemacht haben, hüllte ihn beinahe ein. Er hieb mit dem Messer um sich, aber einige der Fäden schlangen sich schmerzhaft um seinen Arm, atzten sich durch das Material seines Taucheranzugs. Er musste das Messer loslassen; es trieb im Wasser davon, sank langsam in die Tiefe.
Und dann, von einem Moment zum anderen, ließ der Xull ihn wieder los.
Du bist nicht der, den ich erwartet habe, vernahm er eine lautlose Stimme in seinem Kopf. Verschwinde, störe mich jetzt nicht.
Verwirrt zuckte er zusammen. »Wenn ich dich störe, warum tötest du mich dann nicht?«
Dafür habe ich keine Zeit!, erwiderte der Dämon. Und jetzt HAU AB! Verschwinde! Sofort!
Die Feuerquelle stieß ihn von sich, zog sich zurück.
Verwirrt glitt Seneca weiter nach oben. Er ahnte, dass er es kein zweites Mal riskieren durfte, in die Tiefe vorzudringen. Beim nächsten Mal würde der Xull ihn nicht verschonen. Es war schon verblüffend, dass er es diesmal getan hatte. Dafür habe ich keine Zeit!
Was nahm seine Zeit so stark in Anspruch?
Und… Du bist nicht der, den ich erwartet habe.
Wen hatte der Dämon erwartet?
Vorsichtig stieg Seneca wieder zur Wasseroberfläche empor.
***
Nicole tauchte mit April im Schlepptau auf. »Da ist Gryf jedenfalls nicht, und in seiner Kabine auch nicht«, stellte sie fest.
»Was zur Hölle ist eigentlich los?«, drängte April Hedgeson.
»Versuchen wir gerade festzustellen«, brummte Zamorra. Er hatte Monica unter Deck zu den Frachträumen geschickt, um nachzusehen, ob etwas von der Ausrüstung fehlte.
Die Telepathin kam in Begleitung von Jimenez zurück. Den musste sie da unten wohl getroffen haben.
»Ein Neopren-Anzug mit Schwimmflossen, Schutzbrille und Aqualunge fehlt«, sagte Jimenez. »Keine Austragung in der Liste. Haben wir außer einem arbeitsscheuen Paranoiker jetzt auch einen Dieb an Bord?«
»Wen meinen Sie mit dem Paranoiker?«, wollte Nicole wissen.
Jimenez warf einen Blick auf April, dann zuckte er mit den Schultern. »Unwichtig«, sagte er leise. »Vergessen Sie's.«
»Sie meinen Präger, Carlo?«, vermutete April.
»Habe ich nicht gesagt«, murmelte Jimenez.
»Seneca hat also einen Tauchgang durchgeführt«, brachte Zamorra das Gespräch wieder auf den Punkt. »Ich gehe mal davon aus, dass er nicht doch in seiner Kabine liegt und gelassen vor sich hin schläft…?«
»Das wüßten wir doch!«, protestierte Monica. »Er ist nicht mehr an Bord.«
»Ich verstehe diesen Leichtsinn nicht«, sagte Nicole. »Er muss doch wissen, dass er allein keine Chance hat, etwas auszurichten. Sonst hätte er uns doch nicht dazu gebeten! Glücksfall, dass wir ohnehin zu Aprils Geburtstag hier waren… spart uns eine Reise. Aber - wir haben doch heute nachmittag«, sie warf einen Blick auf ihr einziges ›Kleidungsstück‹, die Armbanduhr, »hm, gestern nachmittagabend einen Plan durchgesprochen. Wieso hält er sich nicht daran?«
»Vielleicht will er nicht, dass wir diesen ominösen Schatz sehen. Vielleicht hat er Angst, wir würden ihn ihm abjagen«, schlug Jimenez vor.
»Dann hätte er sicher nicht den Professor und Nicole um Unterstützung gebeten«, erwiderte Uschi Peters.
Jimenez zuckte mit den Schultern. »Wer weiß schon, wie der Nachbar denkt?«
Zamorra reckte beide Arme hoch. »Wir werden auf jeden Fall etwas tun müssen«, sagte er. »Wir können den Mann schließlich nicht im Stich lassen. Wir…«
In diesem Moment tauchte Ty Seneca aus den Wellen auf.
***
Der Xull hatte ihn ziehen lassen.
Er wartete auf Zamorra.
Diesen Mann, der so plötzlich aufgetaucht war, hätte er leicht töten können. Aber das wäre Verschwendung gewesen. Nützlich war sein Tod nur im Rahmen eines Rituals, das seine Lebensenergie dem Xull zufließen ließ.
Aber dafür hatte der Dämon jetzt wirklich keine Zeit. Er wartete auf Zamorra, und er wartete darauf, dass die Haie endlich kamen, die er gerufen hatte. Die verdammten Biester ließen sich eine Menge Zeit. So weit entfernt konnten sie ihre bisherigen Jagdgründe doch wirklich nicht gehabt
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