0688 - Der Kult
abtransportieren lassen«, erklärte mir Tanner und räusperte sich.
»Wen?«
»Die toten Tiere.«
»Sorry, natürlich. Ich war nur mit meinen Gedanken woanders.«
»Noch beim letzten Fall?«
»So ungefähr. Wir haben da eine Niederlage erlitten. Die Hölle oder der Satan spielte uns einen Streich.«
Tanner schüttelte den Kopf. »Wann wird es dir je gelingen, den Teufel zu besiegen?«
»Das weiß ich nicht.«
»Aber du kennst ihn doch.«
»Nein, Tanner. Niemand kennt den Teufel. Er ist alles und nichts. Wenn er sich mit Hörnern auf der Stirn zeigt, dann tut er im Prinzip den Menschen nur einen Gefallen, weil sie ihn von altersher schon immer so gesehen haben. Er kann auch eine Schlange sein, ein Kaninchen, eine elegante Frau, ein schöner Mann, was weiß ich…«
»Dann ist er eben überall.«
»So ähnlich. Er nimmt von allem etwas auf und kommt den Menschen manchmal entgegen, indem er sich ihnen zeigt, wie sie ihn gern sehen möchten.«
»Zum Glück ist das dein Problem. Ich habe es nur mit irdischen Killern zu tun, obgleich ich mir in diesem Fall nicht so sicher bin, denn welcher Mensch geht in einen Stall, um dort Ziegen und Schafe abzuschlachten? Ich kenne da keinen.«
»Wir werden sehen.«
Die Wiese hatten wir verlassen. In unmittelbarer Nähe des Stalls wuchs kein Gras mehr. Da war der Boden braun und von zahlreichen Füßen oder Hufen zertreten.
Ich blieb stehen, weil mir die dunklen Flecke aufgefallen waren. Tanner nickte vor sich hin.
»Das ist eingetrocknetes Blut. Ein kleines Vorspiel zu dem, was du gleich zu sehen bekommst.«
Die Stalltür war verschlossen und versiegelt worden. Während Tanner es aufbrach, schaute ich mich um. Mein Blick glitt zurück über die Wiesen hinweg bis hin zur Straße, die von zahlreichen Pappeln flankiert wurde. Sie standen dort in Reih und Glied wie Zinnsoldaten. Weit dahinter und durch die Zwischenräume zu erkennen, schimmerten die Dächer einer kleinen Ortschaft in der Aprilsonne.
Es war ein wunderschöner Frühlingstag. Das schlechte Wetter hatte sich zurückgezogen, die Wolken waren nicht mehr zu sehen. Der Himmel zeigte ein hartes Blau mit einigen weißen Wattetupfern als Wolken dazwischen.
»Du kannst kommen, John.«
Tanner hatte die Tür aufgezogen, und ich ging auf das Rechteck zu, das sich dunkel abzeichnete.
Hatte ich die ganze Zeit über den Blutgeruch schon wahrgenommen und mich davor geekelt, so intensivierte er sich jetzt, als ich über die Schwelle ging und das Zentrum betrat.
Er lag dort wie eine gewaltige, unsichtbare Wolke über dem auf dem Boden liegenden Grauen.
Für mich war es das Grauen und der Schrecken, der Gestalt angenommen hatte.
Ich wußte nicht, wie viele Schafe oder Ziegen der Killer umgebracht hatte, aber es mußten mehr als ein Dutzend gewesen sein. Die noch lebenden Tiere waren weggeschafft worden. Im Stall lagen nur mehr die Leichen der anderen.
Aber nicht nur einfache Leichen, der Mörder hatte nach einem System gehandelt.
Jedes tote Tier war von ihm fachgerecht gehäutet worden!
Ich stand da und sagte nichts. Tanner hielt sich neben mir auf. Er hatte etwas getan, was bei ihm selten vorkam und seine Zigarre angezündet. Der scharfe, würzige Rauch sollte mithelfen, den Blutgeruch zu vertreiben, der sich wie eine Schicht ausgebreitet hatte, und den ich überall schmeckte. Im Mund, in der Kehle, unter der Zunge, und er schien auch auf meiner Haut zu kleben.
»Du kannst dir jedes Tier anschauen, John, und du wirst immer das gleiche finden.«
»Gehäutet.«
»Genau.«
Die Kadaver glänzten. Fliegen hatten sich eingefunden und umsummten das rotbläulich schimmernde Fleisch. Es war ein Bild des Abscheus!
Hier mußte ein Verrückter, ein Irrer, ein Perverser gewütet haben. Aber er war mit System vorgegangen, hatte nicht nur einfach getötet, sondern die Tiere gehäutet. Und das hatte er sichtlich nicht nur aus Spaß an der Freud gemacht.
»Willst du dich noch umsehen?« fragte Tanner.
Ich hob die Schultern. »Was bringt das? Ich kann auch von hier genug erkennen.«
Tanner paffte hastig und produzierte einige Qualmwolken, die auch unter meiner Nase herwehten.
»Im Prinzip hast du recht, John. Es reicht auch so.«
Er ließ mich einige Minuten in Ruhe und wartete vor der Tür. Dann sprach er mit mir. »Wir haben natürlich im Umfeld des Schäfers nachgeforscht, aber nichts gefunden.«
Ich verließ den Stall. Die Luft draußen stank zwar auch nach Blut, sie war trotzdem besser. »Was meinst du damit?«
»Wie
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