0689 - Draculas Blutuhr
nicht. Wahrscheinlich war sie es gewohnt, dass sie nicht eingelassen wurde.
In der Wohnung stand die Luft. Sie roch alt und muffig. Amelia Astor musste ein Faible für bunte Farben haben, sogar die Gangwände hatten sie unterschiedlich gestrichen.
Links blau, rechts ein helles Gelb. Und in das Mauerwerk waren weiße Garderobenhaken eingedübelt worden.
Ein Bad gab es in der Wohnung nicht. Sie bestand aus einem winzigen Raum, in dem das Bett soeben Platz hatte, wo es aber kein Fenster gab, und aus einem größeren, das Amelia unterteilt hatte, denn sie brauchte Platz für die transportable Dusche, die ich an der linken Seite entdeckte.
Der Vorhang war zugezogen. Er bestand aus einem hellen Material, deshalb konnte ich auch den länglichen Schatten dahinter erkennen.
Auf einmal zogen sich meine Magenwände zusammen. Das war ein Gefühl, das sich nicht beschreiben ließ. Die Stille erschien mir doppelt so stark, nahezu gespenstisch.
Ich hörte sogar das Summen einer fetten, schillernden Schmeißfliege, die am Fenster hin und her flog.
Mit der rechten Hand fasste ich nach eine Vorhangfalte. Sie fühlte sich glatt wie Seife an.
Mit einem Ruck zog ich den Vorhang zur Seite. Das Geräusch hörte sich an, als würde Haut aufgetrennt.
Mir bot sich ein Bild des Schreckens. Sekundenlang vergaß ich zu atmen.
Im Duschbecken stand eine Tote!
Der Schlauch war um ihren Hals geschlungen und hielt sie in dieser Lage.
Die Frau kannte ich, es war Helen Wayne. Und auf ihrer Stirn war mit einem dicken Filzstift ein Wort geschrieben.
Verräterin!
***
In dieser endlosen Totenstille kam mir das Summen der verdammten Fliege noch lauter vor. Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Diese Amelia Astor musste sich verdammt sicher gefühlt haben, dass sie sich zu einer derartigen Tat hatte hinreißen lassen.
Doch wie war es ihr gelungen, Helen Wayne in die eigene Wohnung zu locken? Kannten sich die beiden Frauen doch besser, als Helen und auch Amelia zugegeben hatten?
Ich hatte damit gerechnet, einen Teil des Rätsels lösen zu können. Nichts war daraus geworden. Im Gegenteil, es wurde immer komplizierter. Und ich fühlte mich wie jemand, der dabei leicht und locker zum Narren gehalten wurde.
So etwas gefiel mir überhaupt nicht.
Lange konnte Helen noch nicht tot sein. Ich machte mir Vorwürfe, meinem Hungergefühl nachgekommen zu sein. Hätte ich nicht die beiden Baguettes zu mir genommen, wäre ich vielleicht noch rechtzeitig genug hier erschienen.
Es kam noch etwas hinzu. Amelia Astor musste ihr Training gar nicht erst aufgenommen haben. Sie war offenbar sofort vom Tanzsaal aus zu ihrer Wohnung gefahren, wo Helen dann den Tod gefunden hatte.
Jemand klopfte gegen die Tür.
Ich verdrehte die Augen. Das konnte nur die Blonde sein. Sie durfte die Tote nicht sehen.
Ich entdeckte auf dem Weg zur Tür noch ein Telefon. Damit wollte ich die Kollegen alarmieren.
Die Blonde stand fast auf der Schwelle und drückte mir ihren Busen entgegen. Mein Gesichtsausdruck musste sie wohl irritiert haben, denn sie fragte: »Ist was?«
»Ja, das ist.« Ich zeigte ihr meinen Ausweis.
Sie bekam Kugelaugen. »Ach du Scheiße, ein Bulle!« Als wäre ich giftig, so heftig wich sie zurück und verschwand in ihrer Wohnung, was mir sehr lieb war.
Ich drückte die Tür wieder zu und machte kehrt. Die Tote interessierte mich vorläufig nicht. Die Kollegen sollten erscheinen und feststellen, woran sie gestorben war. Irgendwelche Stich- oder Schusswunden hatte ich an ihr nicht feststellen können.
Das Telefon stand auf einem Glastisch mit weiß gestrichenen Metallbeinen.
Ich hielt den Hörer schon in der Hand, als ich hinter mir, ungefähr dort, wo sich die Dusche mit dem geöffneten Vorhang befand, ein hartes Schaben hörte.
Das Geräusch hatte keine natürliche Ursache. Meine Nackenhaare stellten sich hoch.
Wiederholte es sich?
Ja, aber anders.
Etwas fiel zu Boden. Als dieser Gegenstand aufschlug, vernahm ich einen dröhnenden Klang.
Er war auf den Boden der Duschwanne gefallen. Bei mir verstärkte sich das Kribbeln. Ich legte den Hörer so behutsam hin, als bestünde er aus Glas.
Dann drehte ich mich um.
Die Tote war nicht tot, sie lebte. Sie hatte die Brauseschnur fallen gelassen, dafür den Mund geöffnet und grinste mich wölfisch an.
Nur nicht mit Wolfs-, sondern mit Vampirzähnen!
***
Auch das noch!
Mir blieb auch nichts erspart. Und mich durchzuckte gleichzeitig der Gedanke, dass Amelia Astor, die Frau, der ich gegenübergestanden
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