0689 - Draculas Blutuhr
spürte ich sofort etwas von der Spannung des Live-Auftrittes, hier prickelte es, und wahrscheinlich lag das auch an Amelia Astor, die vor einem Spiegel saß, der von zwei Seiten angeleuchtet wurde.
Sie wandte mir den Rücken zu, konnte mich aber im Spiegel sehen und nickte mir zu.
Ich war ein wenig irritiert, weil ich Amelia im Spiegel sah. Vampire warfen kein Spiegelbild. Automatisch fragte ich mich, ob Amelia tatsächlich ein Vampir war oder…
»Haben Sie etwas, Mr. Sinclair?« Ihre Stimme klang ein wenig spöttisch. Meine leichte Irritation schien sie zu amüsieren.
Ich schloss die Tür. »Nicht direkt. Ich stehe noch immer unter dem Eindruck des Stückes.«
Sie probierte eine knallrote Langhaarperücke aus. »Hat es Ihnen denn gefallen?«
»Das schon.«
»Freut mich für Sie.«
Die Perücke ließ ihre anderen Haare verschwinden. Sie kämmte die rote Flut jetzt durch. »Die brauche ich für meinen nächsten Auftritt. Aber nehmen Sie doch Platz.«
»Danke - wo denn?«
»Hinter Ihnen steht ein Hocker.«
Den sah ich tatsächlich. Er war klein und mit einer roten Plüschfläche bedeckt.
»Pardon, wenn ich weitermache, aber ich brauche für den zweiten, wilden Teil eine neue Maske.«
»Noch wilder?«
Sie lachte, öffnete dabei ihren Mund und zeigte ihre hübschen, normalen Zähne. »Was denken Sie denn?«
»Ich fand es schon…«
»Ach, Mr. Sinclair, hören Sie auf. Das war erst der Beginn.«
»Wie läuft es weiter?«
»Ohne Moral.«
»Das ist nicht gut.«
Sie pinselte im Gesicht die Lippen nach. »Wieso? Sind Sie Moralist, oder…«
»Nein, bin ich nicht. Allerdings finde ich, dass es irgendwo Grenzen geben muss.«
»Wobei?«
»Auf allen Gebieten.«
»Meinen Sie?« Amelia hob die nackten Schultern.
»Man kann nicht ungezügelt leben. In einer Gemeinschaft muss der eine auf den anderen Rücksicht nehmen.«
Die Frau lächelte. Sie begann damit, den letzten Strass von ihrer Haut zu pflücken. Dabei stellte sie sich hin und bot mir einen besonderen Striptease.
»Das gefällt Ihnen, nicht?«
»Ich schaue nicht weg.«
»Das habe ich mir gedacht.« Sie strich über ihre festen Brüste, bevor sie lächelte. »Wissen Sie eigentlich, dass ich mich an Sie gewöhnen könnte, Mr. Sinclair?«
»Tatsächlich?«
»Ja, irgendwie sind Sie aus dem Leben und nicht wie die anderen, mit denen ich zu tun habe. Man kann nicht nur mit Künstlern sein Leben verbringen, man muss auch mal in das normale Leben hineingreifen.«
»Tun Sie das öfter, Amelia?«
»Ab und zu.«
»Wenn Sie eine Uhr kaufen, nicht?« Sie bewegte sich an mir vorbei und berührte wie zufällig mein Knie. Ein Teil der Garderobe lag ziemlich im Dunkeln, da sich das Licht allein auf den Spiegel konzentrierte. Dort raschelte etwas, als die Frau mehrere Schleier über ihren Körper streifte.
»Das ist für den Schleiertanz, den ich gleich aufführen werde.« Auf die Uhr ging sie nicht ein.
Ich blieb hart. »Die Uhr scheint Unglück zu bringen.«
»Sagen Sie nur.«
»Ja.«
»Inwiefern?«
Ich hätte sie jetzt gern aus der Nähe gesehen, aber sie blieb in ihrem Dämmer. »Sie kennen doch Helen Wayne. Leider lebt sie nicht mehr. Sie ist tot.«
Schweigen.
Ich sprach weiter. »Und wissen Sie, wo ich diese Frau gefunden habe?«
»Nein!«
»In Ihrer Wohnung, Amelia. Sie stand tot in der Dusche. Können Sie sich das vorstellen?«
Jetzt verließ sie ihren Platz, trat wie der in das Licht und drehte mir ihr Gesicht zu. »Machen Sie Scherze?«
»Bestimmt nicht.«
Ihr Gesicht war an einigen Stellen grau geschminkt. Die Pinselstriche liefen wie Fäden über die Haut. »Und jetzt denken Sie, dass ich die Mörderin gewesen bin?«
»Das habe ich nicht gesagt.«
»Aber wer hätte sie in meiner Wohnung töten sollen?«
»Das ist das Problem.« Ich gestattete mir ein kaltes Lächeln. »Sie war nicht richtig tot.«
Amelia räusperte sich. »Hören Sie, Mr. Sinclair, wollen Sie mich jetzt auf den Arm nehmen?«
»Bestimmt nicht. Was ich sage, entspricht den Tatsachen. Sie ist zu einem Vampir geworden.«
Eingepackt in die Schleier ging sie an mir vorbei und nahm wieder vor dem Spiegel Platz. »Zu einem Vampir«, wiederholte sie. »Sorry, aber das kann ich nicht glauben.«
»Es stimmt aber.«
»Und weiter?«
»Ich musste sie erlösen.«
»Töten, meinen Sie?«
»Auch das.«
Sie atmete tief durch die Nase, hob die Schultern und nickte. »Das ist wirklich ein Schlag. Ich weiß nicht, was sie bei mir wollte.«
»Sie sind doch zusammen
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