069 - Ein gerissener Kerl
betrat. Er fand den Hausherrn in einem seidenen Schlafrock.
»Schade, daß Sie ausgezogen sind«, sagte er. »Ich wollte Sie um die persönliche Liebenswürdigkeit bitten, mich nach St. James' Street zu einer kleinen Visitation zu begleiten. Wie geht's der jungen Dame?«
»Ich habe sie überredet, bei einer Freundin in Hampstead zu übernachten«, sagte Tony. Elk nickte nachdenklich. »Den Gang nach St. James' Street begrüße ich als willkommene Ablenkung. Ich würde heute nacht doch kein Auge schließen.«
Er war unter dem Schlafrock bis auf Jackett und Schuhe vollständig bekleidet. Während der Diener sie holte, berichtete Elk die letzten Neuigkeiten.
»Ich habe den Dienstmann verhört, der Ihren Scheck überbracht hat. Klingt ein bißchen sonderbar. Um dreiviertel acht kam er ins Büro; die Tür war verschlossen. Frensham öffnete nicht, sondern fragte, wer da sei, und befahl ihm, den Brief unter der Tür durchzuschieben. Ich habe die Empfangsbescheinigung, die er dem Dienstmann ebenfalls durchgeschoben hat, in der Tasche - nur ein ›F‹, das nicht viel besagt.«
»Welchen Grund gab Frensham für sein Verhalten an?«
»Er sagte, er ziehe sich um«, berichtete Elk. »Tat er wirklich manchmal. Ich fand einen kleinen Schrank mit Kleidern in seinem Büro. Merkwürdig, daß er das Kuvert ungeöffnet zerrissen haben sollte«, grübelte er. »Kannte er Ihre Handschrift?«
»Die Adresse war mit der Maschine geschrieben«, antwortete Tony. »Ich hatte noch eine Anzahl adressierter Kuverts da, weil ich mit Frensham früher in reger Korrespondenz stand.«
»Hm!« machte Elk nachdenklich. »Vielleicht glaubte er, es wäre wieder eine Rechnung. Die liegen zu Dutzenden in seinem Schreibtisch. Er war nicht sehr korrekt in Geldsachen.«
Tony zog Schuhe und Jackett an und erklärte, daß er startbereit sei. Doch Elk blieb sitzen.
»Ich kannte jene Wohnung, ehe Büroräume daraus wurden«, erzählte er. »Dort verkehrten mehr Einbrecher als in irgendeiner anderen Etagenwohnung Londons.«
Tony hielt diese Betrachtungen für anekdotenhafte Ausflüge Elks. Er hätte den Mann aber so weit kennen müssen, um zu wissen, daß seine Worte immer irgendeine konkrete Bedeutung hatten.
Plötzlich erhob sich Elk und ging wortlos zur Tür. Draußen an der Ecke fanden sie eine Taxe, die sie zur St. James' Street brachte.
Vor der Tür des Bürogebäudes stand ein Schutzmann Wache.
»Geniale Idee!« schnaubte Elk bitter, während sie zum zweiten Stock hinaufstiegen. »Er könnte ebensogut im Innern einer Litfaßsäule Wache stehen!«
Er schloß die Tür mit der zerbrochenen Scheibe auf und ließ Braid in das Totenzimmer eintreten. Von der Tragödie, die sich hier abgespielt hatte, war kaum noch etwas zu sehen. Frenshams Leiche war entfernt worden, auch die blutbefleckte Schreibunterlage hatte man fortgenommen. Nur auf dem Tisch waren noch einige verräterische Flecke.
»Ich wollte ...«, begann Elk.
Plötzlich hielt er inne. Braid sah ihn auf das Fenster starren. Auch dort war eine Scheibe zertrümmert, glitzernde Splitter lagen auf dem Teppich unterhalb des Fensters. Elk sprach nicht sehr viel, sah aber eine Sekunde lang höchst unglücklich drein.
»Scheibe zerschlagen, Riegel geöffnet — und ich habe diesem verdammten - diesem Herrn befohlen, einen Mann vor die Tür zu postieren — vor diese Tür natürlich!«
Er zeigte auf die Bürotür.
»Was ist geschehen?« fragte Tony.
»Jemand ist hier gewesen — weiter nichts, kam von draußen. Natürlich war's kein Reporter — so was tun Reporter nur in Romanen.«
Er zog das Fenster hoch, lehnte sich hinaus, schwang sich dann zu Braids Entsetzen über das Fensterbrett und entschwand. Anthony Braid glaubte für einen Augenblick, Elk sei verrückt geworden. Aber eine klare Stimme beruhigte ihn, als er voll Furcht in die Dunkelheit der Nacht hinausblickte.
»Alles in Ordnung«, rief Elk. »Auf diesem Wege pflegen die Herren Einbrecher ihre Visiten abzustatten. War für sie genauso leicht wie Marmelade schlecken.«
Er stand auf einem schmalen Eisenbalkon, der dicht unter dem Fenster hinlief und an einer Wendeltreppe endete.
»Eine Fensterleiter«, erläuterte Mr. Elk. »Man kann es auch ›Einbrechers Freudensteg‹ nennen. Helfen Sie mal!«
Tony faßte des Beamten Hand und zog ihn kraftvoll durchs Fenster herein.
»Glauben Sie, daß hier jemand eingebrochen hat, nachdem die Leiche entfernt wurde? Wozu?«
Elk wiegte den Kopf. »Um etwas zu klauen — die bewußten
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