069 - Ein gerissener Kerl
Vater dazugekommen wäre, hätte er sein Testament geändert. Lord Frensham hat diesen Halunken geradezu gehaßt.«
Sie blickte ihn skeptisch an.
»Der Haß kann nicht so furchtbar gewesen sein, wenn er ihn noch im letzten Augenblick um Geld bat«, erklärte sie ruhig. »Das sieht nicht nach Todfeindschaft aus. Außerdem vergiß nicht, daß Tony mir ein sehr lieber Freund ist.«
»Das merke ich!« Er lächelte anzüglich. Doch sie übersah die Beleidigung.
»Er konnte das Unglück zwar nicht verhindern, aber er wollte helfen. Mir gegenüber ist er stets hilfsbereit gewesen — und dir gegenüber doch wohl auch.«
Wütend fuhr er auf. »Ich verstehe nicht, worauf du abzielst. Inwiefern ist Braid zu mir freundlich gewesen? Ich habe davon nichts bemerkt.«
»Das werde ich dir gleich sagen.« Sie hatte jetzt ihre Handschuhe zugeknöpft. »Er riet mir, nicht allzu genau zu untersuchen, wo die sechzigtausend Pfund geblieben sind, die du für mich verwaltet hast ...«
»Dein Vater hat sie!« schrie Julian überlaut. Das Blut stieg ihm zu Kopf.
Sie überhörte den Einwurf.
»Tony und ich sind ferner übereingekommen, nicht weiter nachzuforschen, zu welchem Zeitpunkt und an wen meine Aktien ausgehändigt worden sind. Es dürfte nicht allzu schwer sein, solche Transaktionen noch nachträglich festzustellen, mein lieber Julian. Ich persönlich verstehe nichts von Geschäften und von der Börse, aber so viel weiß ich doch, daß Tony im Handumdrehen heraus hätte, was mit meinen Aktien geschehen ist.«
»Ich kann dir die Zessionen . «, begann er, brach aber gleich wieder ab. Der Zweifel in ihren Augen erbitterte ihn.
»Ursula, wenn ich bedenke, daß du bald meine Frau sein wirst, erscheint mir dein Benehmen geradezu unerhört!«
Es war ein kühner Streich, den er führte. Er setzte alles auf eine Karte und wußte, daß er verloren hatte, noch ehe er sie ausspielte.
»Ich glaube, dieses Thema ist ein für allemal erledigt«, sagte sie sehr ruhig.
Die Unterhaltung nahm für ihn einen bösen Verlauf. Er war gekommen, um unter dem Deckmantel des Mitgefühls Näheres über jene Erbschaft zu erfahren, von der Frensham kürzlich gesprochen hatte. Der Onkel hatte angedeutet, Ursula werde eine sehr reiche Frau werden. Zum erstenmal hatte Reef von dieser Aussicht gehört. Die Neugier quälte ihn, Näheres darüber zu erkunden. Doch plötzlich sah er sich in die Verteidigung gedrängt, sah sich einer kaum versteckten Anschuldigung gegenüber. Denn über den geheimen Sinn des Verzichts, den Ursula ihm großmütig in Aussicht stellte, war ein Zweifel kaum möglich.
Er war bestürzt und erschreckt. Sein Geheimnis und seine Unterschlagung waren also aufgedeckt. Er mußte alle Energie und Entschlossenheit zusammenraffen, um den panischen Schrecken, der ihn packte, niederzuringen und nicht zu fliehen.
»Ich weiß nicht ... du sagst da Dinge ...« Er sprach ohne Zusammenhang, verlegen und suchte vergeblich, seine Furcht zu verbergen. »Du hast dich offenbar von Lügen überrumpeln lassen. Dieser gerissene Kerl! Unglaublich! Du wirst doch hoffentlich nicht auf ihn hören! Nach all diesen langen Jahren .«
Jetzt war er für Ursula endgültig erledigt. Es war für sie erschütternd, diesen Mann, dem sie vertraut, an dessen Rechtlichkeit sie geglaubt hatte, als bescholtenen Bettler vor sich zu sehen. Denn jetzt bettelte er, bettelte bebend vor Angst, sie könne mehr wissen, viel mehr, als sie verraten hatte, und war tief gedemütigt bei dem Gedanken, daß sie schon so viel wußte.
»Um Himmels willen, Ursula, nimm Vernunft an! Ich begreife, welch ein schrecklicher Schlag es für dich gewesen ist ... Deines Vaters Tod und alles ... aber glaub doch nicht so schreckliche Dinge von deinem besten Freund! Du kennst doch Braids Ruf — miserabel ist er! Er lebt von Lügen, hat sein Vermögen auf Betrug aufgebaut .«
Als er so weit gelangt war, öffnete sie ihm die Tür. Er wollte noch etwas Letztes, Entscheidendes, Vernichtendes sagen, doch er war völlig benommen und verstört und konnte keinen klaren Gedanken fassen.
Sie sah ihn die Auffahrt hinabgehen und seufzte erleichtert. Zum erstenmal seit jener entsetzlichen Nacht, in der Elk sie angerufen und ihr den Tod ihres Vaters mitgeteilt hatte, empfand sie ein Gefühl der Erlösung und Befriedigung.
Kaum war sie in Somerset eingetroffen, schrieb sie einen langen Brief an Tony:
›Ich will jetzt robust und rücksichtslos sein und vergessen, vergessen und vergessen! Wenn ich mich nicht
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