069 - Ein gerissener Kerl
Heide, um ihren Hund auszuführen. Sie hatte die Zeitung nicht gelesen und wußte nichts von der Börsenschlacht, die in der City tobte, von den schweren Verlusten und den gewaltigen Gewinnen.
Und selbst als das Gerücht des Kampfes bis zu ihr hinausdrang, ahnte sie nicht, daß Tony im Feuer stand.
Es lag in der Natur der Dinge, daß er als Sieger hervorgehen mußte, denn sein Glücksstern war im Steigen. Am Abend wagte er kaum, seinen Gewinn auszurechnen, während ein halbes Dutzend Firmen, darunter drei sehr gefestigte und alte, ruiniert am Boden lagen und die großen Banken die Lage so ernst beurteilten, daß sie zusammentraten und eine Hilfsaktion gegen weitere Katastrophen ins Leben riefen.
Es war fast Lunchzeit, als Ursula heimkam. Elk saß auf den Stufen vor dem Gartenfenster mit einer Zigarre, deren Format ihr bekannt vorkam. Er las die Mittagszeitung.
Langsam stand er auf und ging ihr entgegen.
»Ich bat Ihr Mädchen, mir etwas zum Rauchen zu geben, Lady Frensham«, entschuldigte er sich. »Ich weiß, Sie würden mich hier nicht kalt sitzen lassen. Ich bat sie, mir die billigste zu bringen, die Sie im Hause haben. Sie können Sie selbst fragen, wenn Sie mir nicht glauben. Ich sagte: ›Mary, oder wie Sie sonst heißen, bringen Sie mir keine teure, sondern eine zu fünf Cent.‹«
Elk war früher einmal nach Amerika gefahren, um einen flüchtigen Schwindler zu fangen, und seitdem rechnete er in der Währung der Vereinigten Staaten.
»Ich sehe, das Mädchen hat richtig verstanden und Ihnen die beste gebracht«, lächelte Ursula. »Aber ich weiß nicht, ob ich mich freuen soll, daß ich Sie sehe. Hoffentlich bringen Sie mir nicht zu schlechte Nachrichten!«
Elk schüttelte den Kopf.
»Heutzutage passiert überhaupt nichts Schlimmes mehr. Die Leute sind brav, keiner kommt mehr mit dem Gesetz in Konflikt, so daß wir schon daran denken, die Polizei aufzulösen.«
Sie bat ihn, zum Lunch zu bleiben, doch er lehnte ihre Einladung ab.
»Ich möchte nur einige Fragen an Sie stellen, Lady Frensham«, bat er und ging mit ihr in die Bibliothek.
»Nur über Dinge, die Sie wahrscheinlich nicht wissen. Aber vielleicht doch. Vor einiger Zeit erbten Sie sechzigtausend Pfund .«
»Die sind hin, Mr. Elk«, sagte sie mit einem resignierten Lächeln.
»Ich weiß. Man hat sie in Aktien angelegt, nicht wahr? Mr. Reef verwaltete sie, und sie sind sozusagen verduftet. Ihr Vater sorgte sich sehr um dieses Vermögen, das Ihnen gehörte, nicht wahr?«
»Ja, ich glaube . ja, sicher, er wollte mich versorgt wissen. Mr. Reef hat ihm die Aktien einige Zeit vor seinem Tod ausgehändigt.«
Elks Gesicht war eine unbewegliche Maske.
»Das habe ich gehört. Aber nehmen wir nun mal an, Ihr Herr Vater hätte entdeckt, daß die Aktien verschwunden waren. Nehmen wir es nur einmal als Hypothese an, ohne jemandem zu nahe zu treten. Nehmen wir einmal an, all diese reizenden Aktien, die man für Sie gekauft hatte, wären verkauft und durch lauter wertloses Zeug ersetzt worden. Darin hätte Ihr Vater vielleicht doch ein kleines Härchen gefunden, wie?«
Sie zögerte wieder.
»Sprechen Sie ruhig. Betrachten Sie mich als Ihren guten alten Onkel«, ermunterte Elk. »Ich spreche rein psychologisch. Wir sind augenblicklich bei der Polizei ganz verrückt auf Psychologie.«
»Ja, er würde sehr böse gewesen sein«, bekannte sie. »Mein Vater war ein sehr heftiger Mann. Er würde außer sich gewesen sein. Das hätte er Julian nie vergeben. Er hätte ihn ...«
»Ihn schnappen lassen«, ergänzte Elk auf eigene Faust.
»Meinen Sie verhaften? Ich glaube, ja. Es mag wahr sein, daß er die Aktien als Sicherheit brauchte, aber ich weiß ganz genau, er hätte niemals zugegeben, daß ich einen Pfennig verliere. Eher wäre er gestorben.«
»Ganz meine Meinung«, bestätigte Elk. »Hätte er entdeckt, daß diese Aktien perdutti waren — das ist französisch und heißt soviel wie futschikato —, und hätte er geglaubt, daß Reef der Räuber ist ...«
Er unterbrach sich und wartete. Aber da sie nichts entgegnete, lenkte er ab.
»Ich wollte Sie noch etwas fragen: gibt es hier im Haus irgendeinen Ort, an dem Seine Lordschaft wichtige Papiere aufzuheben pflegte?«
»In seinem Arbeitszimmer ist hinter der Wandbekleidung ein Geheimfach verborgen«, verriet sie. »Ich habe es selbst erst vor einigen Tagen entdeckt. Doch es war nichts Wertvolles darin — ich habe es geöffnet, es war leer. Ich kam durch den Schlüssel darauf, den mein armer Vater an
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