069 - Ein gerissener Kerl
und schätzte ihn als das, was er war: Der gerissenste Detektiv in London. Und obwohl er noch nie seine Dienste in Anspruch zu nehmen brauchte, hatte der Inspektor doch manchen langweiligen Abend in seinem Haus in Ascot belebt und erheitert.
»Sind Sie gerade auf der Verbrecherjagd, Inspektor?« fragte Ursula und unterdrückte ein Lächeln. Sie wollte den komischen Mann nicht beleidigen.
Er schüttelte den Kopf. »Hier in St. John's Wood wohnen keine Verbrecher, gnädiges Fräulein . Mylady ., ich weiß nicht recht, wie ich Sie nennen soll.«
»Fräulein genügt«, lächelte sie.
Er neigte den Kopf. »Wenn man eine Königin ›Madame‹ nennt, dann genügt ›Fräulein‹ tatsächlich für die meisten Frauenspersonen«, erwog er. »Nein, gnädiges Fräulein, ich bin nicht auf der Verbrecherjagd. Ich suche meinen Hausgenossen, obwohl das gar nicht meine Aufgabe ist, sondern die eines intelligenten Polizisten.«
»Hat er was gestohlen?« fragte Ursula neugierig.
»Nein, gnädiges Fräulein, er hat nichts gestohlen«, entgegnete Elk und schüttelte den Kopf. »Er ist ein kluger Mann, wenn er nüchtern, aber geschwätzig, wenn er voll ist. Entschuldigen Sie den Ausdruck. Höchstwahrscheinlich liegt er jetzt auf einer Bank am Kanal, wenn er nicht darin liegt. Wenn er nüchtern ist, spricht er ganz vernünftig, und es ist ein Vergnügen und ein lehrreicher Genuß, seine Vorträge über die Flora und Fauna Afrikas anzuhören. Aber wenn er voll ist, dann phantasiert er über die Lulanga-Ölfelder, und daß die Quellen alle versiegt sind, und gibt seine Ansicht über den Chefingenieur zum besten — kurzum, man hat schon seine Last mit ihm!«
Da spürte er Tonys Augen, die fest auf ihn gerichtet waren. Braid starrte ihn an, als ob er ein Gespenst gesehen hätte.
4
Inspektor Elk von Scotland Yard war der einzige berühmte Detektiv, der sich Geheimnisse gestatten durfte. Doch nichts in Mr. Elks Leben war geheimnisvoller als die Leute, die in seinem Haus aus und ein gingen. Diebe, verlotterte Edelleute, Falschmünzer, einmal auch ein Mörder, hatten schon unter seinem interessanten Dach in Gray's Inn Road geschlummert. Jetzt erfuhr Tony Braid zu seiner Bestürzung, daß ein geheimnisvoller Trunkenbold, der genaue Kenntnis über die Lulanga-Ölquellen besaß, die Wohnung mit Mr. Elk teilte. Und gerade jetzt beschäftigte ihn nichts so angelegentlich wie Lulanga-Öl.
Ursula Frensham interessierte ein Kenner auf dem Gebiet des Lulanga-Öls nicht besonders. Doch dieser schlanke Mann mit dem runzeligen Gesicht und den lustigen Augen war immerhin eine romantische Figur.
»Ein netter Bursche, dieser Colburn«, knurrte Elk. »Nichts Gemeines an ihm — ein Prinz. Raucht Zigarren, die jeder Gentleman rauchen kann. Hat auch ein bißchen Geld — und wird noch viel mehr haben, wenn diese Aktien erst steigen.«
Er sah Tony spöttisch an. »Ich wollte Sie sowieso wegen dieser Öl-Aktien um Rat angehen. Ihr Herren aus der City könnt einem vielleicht einen Tip geben. Und ich verdiene mein Geld ebenso gern durch Aktien und Spekulationen wie durch ehrliche Arbeit. Offen gesagt, sogar lieber.«
»Können Sie ihn mal mitbringen?« fragte Tony leise.
Elk kratzte sich den Nacken und meinte, das wäre möglich.
Während sie zum Wagen zurückgingen, fragte Ursula: »Was hat Sie an den — wie heißen die Dinger doch — Lulanga so heftig erregt?«
»Nichts. Ich habe an dieser Gesellschaft nur einiges Interesse.«
»Ist das nicht eine von Julians Gesellschaften?« rief sie plötzlich. »Aber natürlich! Und Vater hat eine ganze Menge dieser Aktien. Er macht sich sogar große Sorgen darüber.«
Braid gab keine Antwort.
Sie setzte ihn am Clarence Gate ab, ein wenig verwundert über sein Verstummen, aber noch mehr überrascht durch seine Bitte, ihrem Vater die Begegnung mit Elk zu verschweigen.
Er ging auf sein kleines Haus in der Park Street zu, das für ihn Wohnung und Büro zugleich war. Denn er führte seine zahlreichen Geschäfte von diesem Haus aus. Die bescheidene Zimmerflucht, die er in der Nähe des Rathauses gemietet hatte, beehrte er sehr selten mit seiner Gegenwart.
Kaum hatte er sein Arbeitszimmer betreten, rief er sein Stadtbüro an und diktierte seine Anweisungen so rasch, wie die Stenotypistin sie aufnehmen konnte. Wenige Minuten, nachdem er das Gespräch beendet hatte, waren Lulanga-Öle und Julian Reef aus seinem Gedächtnis verbannt. Er hatte sich in das Studium des Rennkalenders vertieft.
Julian Reef hätte viel
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