069 - Opfer der Daemonen
Fingern ab, als er, einer Eingebung folgend, den Raum betrat. Ohne das übliche, etwas zynische Grinsen sah der Freund unschuldig wie ein Chorknabe aus. Kein Wunder, daß er auf Frauen wirkte. Vielleicht war Tommy an seinem augenblicklichen Zustand schuld! Er war es doch gewesen, der ihm die Furcht vor übersinnlichen Wesen und Dämonen hatte einimpfen wollen!
Mit einem verächtlichen Blick auf den Schläfer wandte sich Lowry ab und schlich die Treppe hinunter.
Es war eine warme Nacht, und eine leichte Brise wehte über den gepflegten Rasen vor dem Haus. Kein Wölkchen stand am Himmel und trübte das Licht des fast runden Mondes und der Sterne.
Zögernd setzte der Professor einen Fuß auf den Weg, als fürchte er, die ihm bekannte Treppe würde sich wieder bis in den Abgrund erstrecken. Aber nichts dergleichen geschah. Zufrieden lächelnd erreichte er die Straße und blickte sich um. Es war noch nicht elf Uhr dreißig, und selbst, wenn jemand auf ihn warten würde, brauchte er sich nicht zu beeilen.
Das dunkle Etwas huschte um seine Beine, und das Lachen kam ihm im Augenblick wie das Jauchzen eines Kindes vor. Lowry zwang sich dazu, es anzuhören.
Heute nacht würde er nicht davonlaufen. All das Seltsame, was ihm bisher passiert war, erschien nun nicht mehr so unheimlich. Er vertraute darauf, daß ihn irgendeine Macht aus dem Abgrund führen würde.
Er sah Tommys Silhouette in einem Fenster im ersten Stock.
„Jim! Wo gehst du hin?“
Der Professor hörte nicht auf ihn, sondern lief auf den Baum zu, unter dem eine Gestalt stand und ihm winkte.
„Jim! Warte doch! Ich bringe dir deinen Hut!“
Lowry fühlte einen kalten Schauer über seinen Rücken laufen. Der Schatten winkte heftiger, und er eilte ihm entgegen.
Zuerst konnte er nicht genau erkennen, wer dort stand, aber einen Augenblick später sah er, daß der kleine, kaum einen Meter große Mann eine helle, lange Kutte trug und fast kahlköpfig war. Ketten und Schnüre hingen um den Hals des Gnoms, und seine Füße steckten in Riemensandalen.
„Hast du meine Nachricht erhalten?“
„Ja. Wohin gehen wir?“
„Du weißt es doch, oder?“.
Lowry betrachtete ihn näher.
Der Mönch schien nicht aus Fleisch und Blut zu sein, sondern sah aus, als bestünde er aus einer ganz leichten, fremdartigen Substanz. Lowry bemerkte erstaunt, daß er durch den Körper des Kleinen hindurchsehen konnte. Ganz deutlich erkannte Jim den Baumstamm hinter der Gestalt und auch den mondbeschienenen Gehsteig.
„Ich bin Sebastian“, stellte sich der Mönch vor. „Vor etwa sechs Jahren hast du mich aus meinem Grab geholt. Erinnerst du dich?“
„Die Gräber von Chezotol!“ rief der Professor überrascht.
„Du erinnerst dich also. Aber glaube nicht, daß ich dir böse bin. Ich bin ein sanftmütiger Kerl. Auch, wenn ich jetzt ohne Heimstatt herumwandern muß und die Werkzeuge deiner Grabarbeiter meinen Leib zermalmten, bin ich dir nicht gram!“
Die listigen Augen des Mönches streiften Jim für Sekunden.
„Dreihundert Jahre lang habe ich dort gelegen. Du hast mich aus gescharrt, weil du dachtest, es wäre ein Aztekengrab … Wo ist mein Gürtel?“
„Dein Gürtel?“
„Ja, mein schöner, goldener Gürtel! Du hast ihn aufgehoben, einem deiner Führer gereicht und gesagt: „Verstehen Sie das? Ein goldener Gürtel, versehen mit den Symbolen der katholischen Kirche! Ich hatte mir eingebildet, ein Aztekengrab gefunden zu haben! Eine Woche im Dreck buddeln für nichts …!“
„Er ist im College-Museum.“
„Es hat mich ein bißchen gekränkt“, sagte Sebastian traurig. „Ich mochte ihn sehr, weil ich ihn selbst gemacht habe, und wir alle dachten, er sei sehr schön! Kann ich meinen Gürtel wieder haben?“
„Ich kann ihn dir jetzt nicht holen.“
„O doch, du mußt! Sonst gehe ich nicht mit dir, um es dir zu zeigen.“
„Mir was zu zeigen?“
„Wo du deine vier Stunden verbracht hast.“
Lowry dachte ein Weilchen nach und nickte dann. „In Ordnung. Wir holen deinen Gürtel. Komm’ mit.“
Lowry ging rasch die Straße entlang, den kleinen, dunklen Schatten an der linken Seite, der Mönch einen Schritt rechts hinter ihm. Sebastians Sandalen verursachten nicht das geringste Geräusch auf dem Gehsteig.
Das Museumsgebäude war sehr nahe, und Lowry kramte nach seinen Schlüsseln. Er öffnete die Tür. Es war sehr dunkel in dem Saal, aber Lowry kannte sich aus, und er knipste seine Taschenlampe erst an, als er die Vitrine mit dem goldenen
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