0691 - Schwester der Nacht
Inbrunst aus. Nachdem seine Auftraggeberin aus dem Fenster gesprungen war, hatten er und sein Kumpel Petit verdammt schlechte Karten.
Sie saßen in der Falle.
Es gefiel Jacques nicht, wie dieser Offizier die beiden Apachen anstarrte. Es gefiel ihm ganz und gar nicht.
»Adjutant!«, schnarrte der Captaine. »Gebt Alarm! Dieses Weibsstück darf nicht entkommen. Und dann nehmt die Wachen und verfolgt die Flüchtige! Ich will sie lebend haben, versteht Ihr!«
»Zu Befehl!«. Der jüngere Offizier salutierte. »Aber… die beiden Strolche, mon Capitaine…«
»Mit denen werde ich schon allein fertig!«
Der junge Adjutant hatte bei der Kaisergarde gelernt, dass man einem Vorgesetzten nicht wiederspricht. Also verließ er im Laufschritt die Schreibstube des Regiments, wo er Nicole Duval und ihre Begleiter empfangen hatte. Die Wachen folgten ihm.
Die Tür krachte hinter ihnen zu.
In der Zwischenzeit hatten Jacques und Petit ihre Klappmesser gezogen. Mit gebeugten Knien standen sie nebeneinander, gaben sich gegenseitig Deckung.
Capitaine Bourdelle maß sie mit seinen Blicken. Er hatte noch nicht zur Waffe gegriffen. Sein voller Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen.
Die Augen waren klein, gelb und wirkten wie tot.
»Lass' uns gehen, Opa«, stieß Jacques hervor. »Wir wollen nur unsere Ruhe, in Ordnung? Mit dieser Verrückten haben wir nichts zu tun.«
Aus dem Garten erklangen Schüsse und Schreie.
Zum Palais du Luxembourg gehörten beeindruckende Wasserspiele und ein parkähnlicher großer Garten. Dort draußen versuchte Nicole Duval offenbar, ihren Verfolgern zu entkommen.
Wir hätten uns mit diesem Miststück nie einlassen dürfen, dachte Jacques. Doch im nächsten Moment war sein Gehirn wie abgeschaltet. Wilde Panik loderte in ihm auf.
Denn nun hatte der Capitaine seine Lippen weit aufgerissen.
Spitze lange Hauer ragten aus dem Oberkiefer.
»Ein Vampir!«, brüllte der wortkarge Petit. »Mutter Gottes, steh' uns bei!«
»Die wird euch jetzt auch nichts mehr nutzen!«, höhnte Bourdelle.
Die beiden Apachen versuchten, durch das immer noch offene Fenster zu flüchten. Doch bevor sie es erreicht hatten, sprang der dicke Capitaine mit einem einzigen Satz über sie hinweg und stellte sich ihnen in den Weg.
Kein Mensch konnte so einen Sprung schaffen, schon gar nicht jemand mit der Leibesfülle des Offiziers.
Aber Capitaine Georges Bourdelle war ja auch kein Mensch mehr.
Mit dem Mut der Verzweiflung schnellte Jacques nach vorne und wollte mit seinem Klappmesser zustoßen. Doch selbst, wenn Bourdelle kein Vampir gewesen wäre, hätte der Ganove ihn nicht gut treffen können.
Der Offizier der Kaisergarde trug seinen schweren Brustpanzer, die Kürasse. Sie gehörte zu seiner Uniform. Jacques musste ihn also in den Hals stechen, wenn er ihn ernsthaft verletzen wollte.
Dazu kam es nicht mehr.
Die Klinge jagte auf den Offizier zu. Mit einer Wendigkeit, die niemand dem beleibten Capitaine zugetraut hätte, steppte dieser zur Seite. Er packte den Arm des Ganoven. Der Knochen brach.
Jacques brüllte auf.
Gleich darauf gingen seine Schmerzensschreie in ein leises Röcheln über. Der Blutsauger hatte seine Vampirhauer in die Halsschlagader des Apachen versenkt und trank gierig schlürfend den warmen Lebenssaft.
Das Blut schmeckte dem Offizier mindestens ebenso gut, wie es zu seinen Lebzeiten als Mensch der Wein getan hatte.
Während Bourdelle den Apachen leer saugte, erreichte Petit die Tür. Er riss sie auf. Der kleinere Ganove war alles andere als ein Held. Er kam nicht auf die Idee, seinem Kumpel zu helfen. Für den war sowieso alles zu spät.
Petit konnte nur noch an Flucht denken.
Die Schildwache vor dem Tor war verschwunden. Wahrscheinlich jagten alle Gardisten hinter dieser Nicole Duval her.
Petit atmete auf. Mit einem Sprung überwand er die Stufen, die hinunter in den nur spärlich beleuchteten Garten führten.
Weit und breit war niemand zu sehen. Nur ein Stück weit südlich, bei den Wasserspielen, rannten einige Kaisergardisten mit gezogenen Säbeln.
Aber sie würdigten den Apachen keines Blickes.
Petit atmete auf.
Doch er hatte sich zu früh gefreut.
Der Tod kam plötzlich und überraschend. Er kam aus der Luft.
Eliphas stürzte auf sein ahnungsloses Opfer herab. Der Fledermaus-Dämon hackte seine rasiermesserscharfen Krallen in Petits Gesicht.
Der Ganove brach in die Knie.
Mit schrillen Schreien setzte Eliphas den Angriff fort. Petit ruderte verzweifelt mit den Armen. Doch seine
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