0692 - Herr der Schattenburg
kein Stampfen. Daß sie näher an ihn herankamen, entnahm Fred der Lautstärke. Er hob den Kopf.
Sein Kinn brannte, als läge es mit der unteren Hälfte in einer scharfen Säure.
Er schaute hoch.
Da stand der Mann. Weißes Haar, weißer Bart.
Der Mann trug einen senfgelben Mantel, der ihm bis über die Waden reichte. Beim ersten Hinsehen hätte er auch für einen tibetanischen Mönch durchgehen können, was er aber nicht war, denn sein Gesicht hatte europäische Züge.
Irgendwie sah er müde aus, was aber täuschte, denn seine Augen straften diesen Eindruck Lügen.
Sie blickten klar, kalt und hellwach.
Die beiden Bestien taten ihm nichts, so daß Fred der Gedanke kam, daß er zu ihnen gehörte und vielleicht sogar deren Chef war, denn die Bestien hatten ihre Haltung verändert und standen irgendwie demutsvoll und gleichzeitig abwartend.
Der Fremde ging auf die Frau zu. Fred wollte sehen, was er mit Ann tat und schielte zur Seite.
Dicht vor ihr stoppte er seinen Schritt.
Ann atmete heftig. An den Oberarmen des zerfetzten Jogginganzugs schimmerten rostige Flecken.
Sie sahen zwar aus wie Rost, aber sie waren es nicht, denn auch eingetrocknetes Blut sah so aus.
Er schluckte. Wenn der Alte seiner Ann etwas antat, dann wußte er nicht, was er tun würde.
Sie starrten sich an.
Ann weinte.
Das Tränenwasser hatte ihr Gesicht in einen nassen bleichen Fleck verwandelt. Sie litt wie ein Hund, und Fred litt mit seiner Frau. Plötzlich durchströmte ihn Haß, Wut und Zorn. Sie vereinigten sich zu einem reißenden Strom, der alles mit sich zerren wollte.
»Sie ist gut«, sagte der Alte mit dünnen Lippen. »Ja, sie ist sehr gut. Fein habt ihr das gemacht.«
Sogar seine beiden Bestien lobte er. »Ihr wollt sie reißen, nicht? Ihr wollt beweisen, daß die alten Kräfte eines längst versunkenen Kontinents noch immer in euch stecken. Ich weiß das, und ich werde auch nichts dagegen haben, aber zunächst müssen wir unsere neue Heimat erreichen.«
Fred Morland begriff nichts. Er hatte die Worte zwar gehört, doch nicht die Bohne verstanden.
Rätsel über Rätsel, und er konnte nicht sagen, daß es ihm deshalb besser ging.
Der Alte im senffarbenen Mantel wandte sich von Ann ab. Sein neues Ziel war Fred, an dessen Kinnspitze sich das Blut gesammelt hatte, zu einem dicken, schweren Tropfen geworden war und nach unten sackte. Die Hälfte des Tropfens löste sich, platschte zu Boden und zeichnete dicht vor seinen Fußspitzen ein Muster.
Der Blick war schlimm.
Er drang bis unter die Haut, er schien die Seele eines Menschen fressen zu wollen.
Nie zuvor hatte Fred ein derartiges Gesicht gesehen. So aus der Nähe betrachtet, störte ihn auch die Dunkelheit nicht, denn er war in der Lage, jede Einzelheit aufzusaugen.
Es war ein Mensch, der vor ihm stand. Dennoch gab es zwischen ihm und diesem Menschen eine Distanz, die anders war, als würde ein völlig normaler Fremder vor ihm stehen.
Von dieser Gestalt strömte etwas aus, das Fred sich nicht erklären konnte. Zwischen ihm und den Fremden blieb die Distanz, die Fred mit seinem Gefühl zeitlich zu erfassen versuchte und den Eindruck bekam, es lägen Generationen dazwischen.
Was wollte dieser Mann?
Zunächst einmal verstand er sich ausgezeichnet mit den beiden Kreaturen. Er machte auch nicht den Eindruck, als würde er im nächsten Augenblick ein Messer hervorholen um es in Freds Leib zu rammen. Trotzdem strahlte er eine Gefahr ab.
Der Fremde hob die rechte Hand und berührte ihn. Fred Morland zuckte zusammen. Nicht allein wegen dieser Berührung, es lag noch ein anderer Grund vor, denn der Alte ließ seine rechte Hand auf Wanderschaft gehen und sie über den Körper fließen.
Fred kam sich vor wie ein Stück Vieh, dessen Qualität kurz vor dem Schlachten noch geprüft werden sollte.
Dann sank die Hand nach unten. Was würde geschehen? Der Fremde nickte.
War er zufrieden?
Als Fred Morland scharf den Atem ausstieß, drehte sich der Alte herum. Er richtete seinen Blick auf die beiden Werwölfe und hob eine Hand. Es war das Zeichen für sie.
Ann schrie erschreckt, als sie wieder die Griffe der beiden Pranken spürte, die in ihrer Härte keinen Zweifel daran aufkommen ließen, daß sie es nicht schaffen würde, sich zu befreien.
Sie wurde nach vorn und gleichzeitig zur Seite gezerrt, fing sich einen Stoß in den Rücken ein, der sie in die entsprechende Richtung katapultierte.
Sie mußte weg.
Fred erging es nicht anders.
Auch ihn schob eine Pranke herum und
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