0695 - Blut an bleichen Lippen
darüber eine weinrote Weste. An ihr baumelten Ketten mit silbrig schimmernden Totenköpfen. Die alte Jeans saß sehr eng. Der Stoff sah aus wie gefrorenes hellblaues Wasser. Und in den Augen stand die kalte Gier, die Lust auf eine Frau.
»Na, Baby, wie gefalle ich dir?«
Mandy sagte nichts. Sie fühlte sich nicht reif, eine Antwort zu geben. Der Mut hatte sie verlasen, doch schließlich preßte sie hervor: »Geh, laß mich in Ruhe!«
Er lachte und schlug mit beiden Händen auf seine Oberschenkel. »Aber Vögelchen, du glaubst doch nicht etwa, daß ich das tue? Nein, Süße, du bist in einem fremden Revier und mir ins Netz geflattert. So etwas kommt nur alle Schaltjahre vor. Wir beide werden uns schon amüsieren. Hier ist es zwar kalt, aber das macht nichts, denn ich bin heiß genug. Und du wirst es noch werden.« Sein Arm schnellte vor. Mandy gelang es nicht, dem Griff zu entgehen. Seine Hand war wie ein Schraubstock, als er sie weiter und tiefer in die alte Halle zerrte. Es stank nach altem Öl und klebrigem Staub.
Mandy bekam ihre Umgebung kaum mit. Sie stolperte vorbei an den leeren Sockeln, auf denen sonst Maschinen gestanden hatten. Der Untergrund war zerkratzt, die Fenster auf der einen Seite zugemauert. Auf der hinteren nicht. Durch diese Öffnungen sickerte graues Tageslicht und verteilte sich auf dem Boden der Halle.
»Was willst du von mir?« keuchte sie, stolperte weiter und ärgerte sich, diese Frage gestellt zu haben.
Er lachte nur.
Sonst gab es keine Antwort. Er hatte es auch nicht nötig, dachte Mandy. Verdammt, der hat es nicht nötig, der macht dich fertig. Sie überlegte, wie sie sich wehren sollte. Mandy gehörte sonst nicht zu den Mädchen oder Frauen, die sich alles gefallen ließen. Aber das hier war anders, der Kerl war dagewesen, und sein Erscheinen hatte sie getroffen wie ein Hammerschlag.
Seine Schritte klangen anders. So hohl und hart. Erst jetzt fiel ihr auf, daß sie den Raum gewechselt hatten. Sie befanden sich in einer Waschkaue, wo noch alte Metallspinde standen und aus der Dusche die Duschtassen hervorschauten, die zur Gemeinschaftsdusche gehörten. Alles war grau und schmutzig.
Selbst die Kacheln hatten diese Farbe angenommen. Sie waren einmal gelb gewesen.
Dunkel war der Raum nicht. Auf einem Spind stand ein Strahler. Der Typ hatte ihn installiert. Sein Licht strahlte gegen die Fliesen und die Wände, aber auch gegen das alte Feldbett, das er aufgestellt hatte.. Da war alles vorbereitet, und Mandy wurde klar, daß sie nicht die erste Frau war, die er in sein Refugium gezerrt hatte, um ihr Gewalt anzutun. Der besaß darin Routine.
Sie hob den Kopf, schaute gegen die Decke. Die Duschköpfe kamen ihr vor wie Augen mit grauen Pupillen, die nach unten glotzten und sie belauerten.
Er breitete die Arme aus, dann deutete er auf das Bett. »Los, Süße, leg dich hin, aber zuvor wirst du dich ausziehen!«
Sie schüttelte den Kopf. Es war eine impulsive Bewegung, völlig automatisch, sie wollte nicht.
Er grinste.
Widerlich breit zog er die Lippen und bewegte dabei seinen rechten Arm. Die Hand verschwand unter der Jacke, dann in der Innentasche, kam wieder hervor und hielt etwas umklammert.
Das helle, klackende Geräusch kannte Mandy genau. Auch in ihrer Gegend gehörte es zum Alltag.
Eine Klinge schnellte hervor.
Sie war lang, glänzte hell, sie war gleichzeitig schmal und sehr spitz.
»Willst du nicht?«
»Nein…« Mandy schüttelte den Kopf, während sich ihr Innerstes verkrampfte. Plötzlich wurde ihr übel, die Beine gaben ihr nach, sie schwankte, die Augen verdrehte sie ebenfalls, und sie merkte nicht einmal, daß sie Luft holte.
So etwas Gemeines hatte sie noch nicht erlebt. Sie war kein ängstlicher Typ, in diesem Fall aber konnte sie nicht anders. Mandy wußte selbst nicht, wie das möglich gewesen war, schließlich hatte sie gelernt, sich zu wehren, wieso jetzt dieses verfluchte Zittern, diese beinahe hündische Angst vor dem Mann mit dem Messer?
Es drehte sich vor ihren Augen. Die Umgebung wurde zu einem Kreisel. Sie sah die Duschtassen nur wie Fratzen, die böse auf sie herabstarrten wie gierige Augen.
Der Kerl fluchte, das hörte sie noch, dann spürte sie ihn, und plötzlich hatte sie einen Blackout.
Sekunden nur, aber das reichte. Mandy kam wieder zu sich, sie öffnete sofort die Augen und erkannte gleich darauf, daß sich die Perspektive verändert hatte.
Sie stand nicht mehr, jetzt lag sie…
Über sich sah sie die Decke, aber nicht mehr die
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