0699 - Das Erwachen der Hexe
sah ich keine Decke, und die Düsternis schien in die Unendlichkeit zu steigen. Wir sahen keine Treppe, dafür aber Sprossenleitern, die an den Wänden hochführten und dort endeten, wo eine Galerie begann, die als Vorsprung den gesamten Grundriss des hohen Raumes nachzeichnete.
Kein Mensch schien sich dort zu befinden. Wir hörten einfach nichts. Keine Tritte, kein Schaben von Schuhsohlen, nur unsere eigenen Schritte auf dem Steinboden.
Suko war ein Stück vorgegangen. Er drehte sich nicht um, als er mich ansprach. »Sie haben uns geleimt, John. Diese Hundesöhne haben uns reingelegt.« Seine Stimme hallte, als stünden wir in einer leeren Kirche, nur dieser Ton klang dunkler, für eine Umgebung wie diese hier angemessener, wie ich fand.
»Wäre ja nicht das erste Mal«, gab ich sarkastisch zurück. Dabei dachte ich daran, dass Tricia vor meinen Augen entführt worden war. Ich wollte auch die Kollegen nicht unbedingt warten lassen und gab die Anordnung, den Einsatz abzubrechen.
»Haben Sie denn was gefunden?«
»Nein, Chief, nichts«, erwiderte ich auf die Frage des Einsatzleiters. »Bestellen Sie Sir James, dass wir uns mit ihm in Verbindung setzen werden.«
»Gut, Mr. Sinclair, dann ziehen wir uns jetzt zurück.«
»Tun Sie das.«
Sukos Schritte entfernten sich von mir. Der Raum war nicht nur hoch, er war auch außergewöhnlich lang. Ich aber blieb auf der Stelle stehen und holte meine Bleistiftleuchte hervor. Die Tür war hinter mir längst wieder zugefallen, sodass ich mir vorkam wie in einer sehr großen, dunklen Gruft.
Das Kerzenlicht reichte nicht einmal bis an die Balustrade heran. Die Lampe strahlte höher.
Ein Holzgitter sicherte diesen Rundumweg auf halber Höhe. Seine einzelnen Pfosten standen starr.
Sie waren dunkel lackiert und glänzten wie starre Arme.
Ich leuchtete auch zwischen die Lücken, wo der Lampenstrahl dann über eine ebenfalls geschwärzte Wand wanderte.
Es gab nichts Helles hier. Auch fanden wir keine Hinweise und Utensilien darauf, dass hier eine schwarze Messe stattgefunden hatte. Nur der Geruch störte mich.
Er bestand aus einer seltsamen Mischung. Als wären alte Kräuter mit einer vertrockneten Leichenhaut vermischt und anschließend abgeflammt worden.
Als ich näher an die Kerzen herantrat, fiel mir auf, dass sie den Geruch abströmten.
Die Kerzen zeigten nicht die bleiche Wachsfarbe, sie waren grün eingefärbt worden.
Suko hielt sich im hinteren Teil der Halle auf. Ich konnte ihn nicht sehen, nur hören. Dabei überlegte ich, dass jemand die Kerzen angezündet haben musste, doch wer?
»John…« Sukos Stimme erreichte mich als schauriges Echo aus dem Dunkel.
»Was ist denn?«
»Komm mal her, ich habe eine Treppe entdeckt.«
»Na und?«
»Das sollten wir uns gemeinsam ansehen. Es ist schon interessant, glaube ich.«
Der Lampenstrahl wanderte mir voran, als ich auf Suko zuging. Er stand am Ende der wandlosen Halle und lehnte dabei gegen ein Geländer, das eine Treppe schützte.
»Warst du schon unten?«
»Noch nicht.« Er lächelte. »Ich wollte uns beiden die Freude gönnen.«
Vor uns lag eine normale Treppe, die in den unteren Bereich des Hauses führte. Der Keller gähnte uns als ein dunkles Loch entgegen. Schon sehr bald musste ich zumindest den Kopf einziehen, sonst hätte ich ihn mir an der Decke gestoßen. Suko ging normal weiter, streifte aber mit den Haaren darüber hinweg.
Den ungewöhnlichen Kerzengeruch merkten wir hier nicht mehr. Dafür erreichte unsere Nasen ein anderer Gestank. Da waren auch keine Kräuter zu riechen, sondern etwas anderes, das ich von meinem letzten Leipziger Fall noch in verdammt unangenehmer Erinnerung hatte.
Es roch nach Verwesung…
Ich schluckte den unsichtbaren Kloß hinunter, der sich aber sehr bald wieder in die Höhe drängte.
»Das lässt ja einiges ahnen«, murmelte Suko.
Wir stießen tiefer in den Keller, wo man die Wände herausgehauen und nur dabei vergessen hatte, alle Spuren zu beseitigen. An manchen Stellen bedeckte alter Schutt den Boden. Wir waren auch gezwungen, über Trümmer hinwegzusteigen.
Das Licht breitete seinen hellen Teppich aus. Und plötzlich sackten die Strahlen weg.
Sofort blieben wir stehen.
Vor uns lag eine Öffnung.
Um sie besser erkennen zu können, gingen wir vor.
Es war eine viereckige Öffnung, aber ein anderer Begriff passte besser.
Es war ein Grab!
Leer, wie wir nach dem ersten Ausleuchten feststellten, aber der Geruch strömte noch immer hervor, und wir sahen auch die
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