07 - Asche zu Asche
nicht. Das siehst du doch ... Chris. Chris!«
»... ruhig ... in Ordnung, Livie ...«
Schlurfgeräusche folgten. Papier knisterte. Eine Schranktür wurde zugeschlagen. Dann noch eine. Dann eine dritte. Gleich darauf erschien Chris Faraday an der angelehnten Tür.
»Vorsichtig, die Tür ist niedrig«, warnte er. Er hatte sich eine Trainingshose übergezogen. Sie war einmal rot gewesen, jetzt aber verwaschen, rostrot wie sein krauses Haar. Es war schütter für einen Mann seines Alters, und am Scheitel hatte er schon eine kahle Stelle, ähnlich einer kleinen Mönchstonsur.
Lynley folgte ihm in einen langen, dämmrig erleuchteten Raum, der mit Fichtenholz getäfelt war. Er war zum größten Teil mit Teppich ausgelegt, nur unter einer großen Werkbank, unter die sich der dreibeinige Hund zurückgezogen hatte, war Linoleum. Auf dem Teppich lagen drei riesige Kissen. Nicht weit von ihnen stand eine buntgemischte Gruppe fünf alter Sessel, die nicht zusammenpaßten. In einem von ihnen saß eine Frau, die von Kopf bis Fuß schwarz gekleidet war. Lynley hätte sie auf den ersten Blick gar nicht gesehen, wäre nicht die Farbe ihres Haars gewesen, ein leuchtendes Weißblond mit einem merkwürdigen Stich ins Gelbliche. Nur an den Wurzeln war das Haar dunkel, wirkte schmutzig. Es war auf der einen Seite ganz kurz geschnitten, während es ihr auf der anderen bis über das Ohr reichte.
»Olivia Whitelaw?« fragte Lynley.
Faraday trat zu der Werkbank und öffnete eine Lamellenverschalung etwa zwei Zentimeter weit. Durch die Ritze stieg Licht zur holzgetäfelten Decke des Raums, und ein diffuser Schein fiel auf die Frau im Sessel.
Sie schreckte davor zurück. »Scheiße«, sagte sie. »Nicht so hell, Chris.« Sie beugte sich langsam zum Boden neben ihrem Sessel hinunter, hob eine leere Tomatendose hoch, der sie eine Packung Marlboro und ein Wegwerffeuerzeug entnahm.
Als sie die Zigarette anzündete, blitzten ihre Ringe im Schein der Flamme. Silberne Ringe, an jedem Finger mindestens einer. Sie paßten zu den Steckern, die ihr rechtes Ohr schmückten, und auch zu der großen Sicherheitsnadel, die im linken hing.
»Olivia Whitelaw. Richtig. Wer möchte das wissen und warum?« Der Rauch ihrer Zigarette brach das Licht. Dadurch entstand der Eindruck eines wabernden Gazeschleiers, der zwischen ihnen hing. Faraday öffnete noch eine Lamelle der Verschalung. Sofort sagte Olivia: »Das reicht! Warum verziehst du dich nicht eine Weile?«
»Er muß leider bleiben«, meinte Lynley. »Ich möchte auch ihm einige Fragen stellen.«
Faraday knipste eine Leuchtstoffröhre über der Werkbank an. Sie verströmte ein blendendes, weißes Licht, das nur auf diesen kleinen Teil des Raums konzentriert war. Gleichzeitig schuf es eine Ablenkung für das Auge, lockte den Blick von dem alten Sessel weg, in dem Olivia saß.
Vor der Werkbank stand ein Hocker. Auf ihm ließ Faraday sich nieder. Lynley würde also, wenn er von einem zum anderen blickte, ständig sein Auge von Licht auf Schatten und umgekehrt umstellen müssen. Ein raffiniertes Arrangement. Sie hatten es so prompt und mit solcher Selbstverständlichkeit hergestellt, daß Lynley sich fragte, ob es eine geplante Inszenierung war für den Fall, daß die Bullen kommen sollten.
Er setzte sich in den Sessel, der Olivia am nächsten stand. »Ich habe eine Nachricht von Ihrer Mutter für Sie«, sagte er.
Das Ende ihrer Zigarette glühte auf. »Ach ja? Wie reizend. Soll ich das vielleicht feiern?«
»Sie bat mich, Ihnen zu sagen, daß sie immer Ihre Mutter sein wird.«
Olivia beobachtete ihn mit gesenkten Lidern durch den Rauchschleier. In einer Hand hielt sie die Zigarette, keine fünf Zentimeter von ihrem Mund entfernt.
»Sie bat mich, Ihnen zu sagen, daß Kenneth Fleming daran nichts geändert hat.«
Ihr Blick blieb unverwandt auf ihn gerichtet. Ihr Gesicht zeigte keine Regung, als er Flemings Namen nannte. »Und ich soll verstehen, was das bedeutet?« fragte sie schließlich.
»Ich habe nicht ganz richtig zitiert. Zuerst sagte sie: ›Kenneth Fleming ändert nichts daran.‹«
»Tja, schön, freut mich, daß die alte Kuh noch muhen kann.«
Olivias Ton war gelangweilt. Lynley hörte das leise Rascheln von Faradays Kleidung, als dieser sich bewegte. Olivia tat keinen Blick in seine Richtung.
»Präsens«, sagte Lynley. »Und dann der Wechsel zum Perfekt. Seit gestern abend macht sie eine Gratwanderung zwischen Gegenwart und Vergangenheit.« »Interessant. Ich weiß, daß Kenneth
Weitere Kostenlose Bücher