07 - Asche zu Asche
Fleming tot ist, wenn Sie darauf anspielen sollten.«
»Sie haben mit Ihrer Mutter gesprochen?«
»Ich lese Zeitung.«
»Warum?«
»Warum? Was ist das für eine Frage? Ich lese Zeitung, weil ich das tue, wenn Chris sie mitbringt. Was tun Sie denn mit Ihrer? Schneiden Sie sie in säuberliche Rechtecke und wischen sich damit den Hintern ab?«
»Livie!« mahnte Faraday gedämpft.
»Ich meinte, warum haben Sie Ihre Mutter nicht angerufen?«
»Wir reden seit Jahren nicht mehr miteinander. Weshalb hätte ich sie anrufen sollen?«
»Ich weiß es nicht. Um zu fragen, ob Sie etwas tun können, um ihren Schmerz ein wenig erträglicher zu machen.«
»Vielleicht so: ›Tut mir in der Seele weh, daß dein Lustknabe den Löffel abgeben mußte?‹«
»Sie wußten also, daß zwischen Ihrer Mutter und Kenneth Fleming eine Beziehung bestand. Obwohl Sie jahrelang nicht mir ihr gesprochen haben.«
Olivia schob sich ihre Zigarette zwischen die Lippen. Lynley sah, daß sie sich bewußt war, mit welcher Leichtigkeit er sie zu diesem Eingeständnis verleitet hatte. Er merkte außerdem, daß sie überlegte, was sie noch versehentlich preisgegeben haben könnte.
»Ich habe gesagt, ich lese die Zeitung«, versetzte sie. Er hatte den Eindruck, daß ihr linkes Bein zitterte, vielleicht vor Kälte - obwohl es auf dem Hausboot nicht kalt war -, vielleicht aber auch aus Nervosität. »Man konnte die Geschichten über sie in den letzten Jahren kaum übersehen.«
»Was wissen Sie über Ihre Mutter und Kenneth Fleming?«
»Nur das, was in der Zeitung gestanden hat. Er hat in Stepney in ihrer Druckerei gearbeitet. Sie lebten zusammen. Sie hat seine Karriere gefördert. Sie wird als seine gute Fee oder so was betrachtet.«
»Aber der Ausdruck ›Lustknabe‹ impliziert etwas anderes.«
»Lustknabe?«
»Das ist das Wort, das Sie eben gebraucht haben. Und wenn man es hört, denkt man nicht an eine gute Fee und ihren Schützling, finden Sie nicht auch?«
Olivia schnippte Zigarettenasche in die Tomatendose. Sie hob die Zigarette wieder an ihren Mund und sprach hinter vorgehaltener Hand. »Tut mir leid«, sagte sie. »Ich hab eben eine schmutzige Phantasie.«
»Haben Sie von Anfang an vermutet, daß zwischen den beiden eine Liebesbeziehung bestand?« fragte Lynley. »Oder hat ein Ereignis jüngerer Zeit diesen Eindruck bei Ihnen hervorgerufen?«
»Ich habe überhaupt nichts vermutet. Die Geschichte hat mich gar nicht genug interessiert, um Vermutungen anzustellen. Ich ziehe lediglich die Schlüsse, die man im allgemeinen zieht, wenn ein Mann und eine Frau - meistens, aber nicht immer, ohne verwandtschaftliche Beziehungen - längere Zeit unter einem Dach oder auf einer einsamen Insel zusammenleben. Irgendwann funkt's. Ich denke, Sie verstehen, was ich meine. Oder muß ich mich deutlicher ausdrücken?«
»Aber ziemlich beunruhigend ist es doch, nicht wahr?«
»Was?«
»Die Vorstellung, daß Ihre Mutter einen soviel jüngeren Liebhaber hatte. Jünger als Sie womöglich oder vielleicht im gleichen Alter wie Sie.« Lynley beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf die Knie. Er wollte durch seine Körperhaltung ausdrücken, daß er ein ernstes Gespräch anstrebte; gleichzeitig aber wollte er ihr linkes Bein genauer sehen. Es zitterte tatsächlich, genau wie ihr rechtes. Aber sie schien sich dessen nicht bewußt zu sein.
»Seien wir doch offen«, sagte er, um einen freimütigen Ton bemüht. »Ihre Mutter ist keine übermäßig jugendlich wirkende Sechsundsechzigjährige. Haben Sie sich nie gefragt, ob sie sich nicht blind und töricht in die Hände eines Mannes begeben hatte, der auf etwas anderes aus war als auf das zweifelhafte Vergnügen, mit ihr zu schlafen? Er war ein im ganzen Land bekannter Sportler. Meinen Sie nicht auch, daß er jede Menge weit jüngerer Frauen hätte haben können? Was kann ihn also Ihrer Meinung nach bewogen haben, ein Verhältnis mit Ihrer Mutter anzufangen?«
Sie kniff die Augen zusammen und schien seine Fragen zu bedenken. »Er hat einen Mutterkomplex, den er ausleben wollte. Oder einen Großmutterkomplex. Er mochte sie alt und verschrumpelt. Er mochte sie schlaff und schwabbelig. Oder er fand das Bumsen mit grauen Panthern am schönsten. Suchen Sie sich was raus. Ich kann die Geschichte nicht erklären.«
»Aber hat sie Ihnen nicht zu denken gegeben? Immer vorausgesetzt, es bestand tatsächlich eine derartige Beziehung zwischen den beiden. Ihre Mutter bestreitet es.«
»Sie kann meinetwegen tun und
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