07 - Asche zu Asche
zurück.« Er zog mich an sich, schlang seine Arme um meine Taille und legte sein Kinn auf meine Schulter. Ich konnte seinen Atem an meinem Hals fühlen. Ich lehnte meinen Kopf an seinen.
»Geh zu Bett«, sagte ich. »Ich schaff das schon.«
Mit einem Arm hielt er mich weiter fest, mit der anderen Hand streichelte er mir den Hals. »Ich hab geträumt«, murmelte er. »Ich war wieder in der Schule. Mit LloydGeorge Marley.«
»Entfernt verwandt mit Bob?«
»Behauptete er jedenfalls. Es ging um eine Machtprobe mit einer Bande Faschisten, die damals immer beim Taxistand in der Nähe von unserer Schule herumlungerten. Nationale Front, weiß du. Mit Metallkappen an den Stiefeln und dem ganzen Klimbim.« Er sprach leise und massierte dabei die verkrampften Muskeln in meinem Nacken. »Wir kommen um die Ecke - Lloyd-George und ich - und sahen die Kerle plötzlich. Ich wußte sofort, daß sie Streit suchten. Nicht mit mir, sondern mit LloydGeorge. Sie wollten ihm kräftig eins auf die Nase geben, ihm und seinesgleichen eine Lektion erteilen. Geht dahin zurück, wo ihr hergekommen seid, ihr Scheißnigger. Ihr verseucht unser reines englisches Blut. Sie hatten Schlagringe und schwere Eisenketten. Ich wußte, was uns erwartete.« »Und was hast du getan?«
»Ich wollte Lloyd-George sagen, er solle davonlaufen. Aber du weißt ja, wie das im Traum ist: Ich bekam kein Wort heraus. Und sie kamen immer näher. Ich holte ihn ein und hielt ihn fest. Komm, hauen wir ab, sagte ich. Laß uns abhauen. Ich wollte verschwinden. Er wollte sich schlagen.«
»Und?«
»Dann bin ich aufgewacht.«
»Glück gehabt.«
»Darum geht's nicht.«
»Worum denn?«
Ich spürte, wie sein Arm, der mich umfangen hielt, sich spannte. »Ich war froh, daß ich keine Entscheidung treffen mußte, Livie.«
Ich wandte mich, um ihn ansehen zu können. Die Bartstoppeln wirkten zimtbraun auf seiner Haut. »Das hat doch keine Bedeutung«, sagte ich. »Es war ein Traum. Du bist aufgewacht.«
»Doch, es hat eine Bedeutung.«
Ich spürte den Schlag seines Herzens an meinem Körper. »Es ist okay«, beruhigte ich ihn.
»Es tut mir leid«, sagte er. »Das alles. Was es kostet.«
»Man muß für alles bezahlen.«
»Aber nicht so teuer.«
»Ach, ich weiß nicht.« Ich tätschelte seine Hand und ließ meine Augen zufallen. Das Licht aus der Küche lag wie heller Fackelschein auf meinen Augenlidern. Dennoch schlief ich ein.
Chris hielt mich. Als die Krämpfe mich weckten, glitt er vom Stuhl und massierte meine Beine. Manchmal lobe ich ihn, wenn das hier alles vorüber wäre, könne er sich als professioneller Masseur verdingen. »Du bist Weltmeister im Massieren«, sage ich dann, »und ich bin Weltmeisterin im Angewiesen-Sein.« Es ist wahr. Die Krankheit macht einem bewußt, wie sehr man auf andere angewiesen ist. Sie löscht alle Gedanken an Unabhängigkeit aus, an Ich-werd's-ihnen-schon-Zeigen oder Ihr-könnt-mir-alle-gestohlen-Bleiben.
Womit ich wieder bei Mutter wäre.
Den Entschluß zu fassen, mit Mutter über meine Krankheit zu sprechen, war eine Sache. Es zu tun, war eine ganz andere. Und ich malte mir die verschiedensten Szenarien aus. Ich stellte mir vor, ich würde sie bitten, sich in irgendeinem Lokal mit mir zu treffen, vielleicht in dem italienischen Restaurant in der Argyll Road. Ich würde Risotto bestellen - das war am einfachsten vom Teller in den Mund zu befördern - und zwei Gläser Wein trinken, um die Hemmungen loszuwerden. Vielleicht würde ich eine ganze Flasche bestellen und sie mit ihr teilen. Wenn sie ein bißchen angesäuselt war, würde ich mit meinen Neuigkeiten herausrücken. Ich würde ein bißchen früher kommen, noch vor ihr, und den Kellner bitten, meine Gehhilfe zu verstecken. Sie würde pikiert sein, wenn ich bei ihrer Ankunft nicht aufstehen würde, aber sie würde es mir verzeihen, sobald sie erführe, was los war.
Oder ich würde sie aufs Boot einladen und sie mit Chris und Max zusammen erwarten, damit sie sehen konnte, wie sehr mein Leben sich in den letzten Jahren verändert hatte. Max würde mit ihr Konversation machen: über Cricket, über die drückende Verantwortung des Fabrikmanagements, über viktorianische Antiquitäten und seine Leidenschaft für alles Altertümliche, frei erfunden für diesen besonderen Anlaß. Chris würde sein wie immer, auf der untersten Treppenstufe sitzen und Panda ein Stück Banane zustecken, das die Katze brav verspeisen würde, auch wenn sie keine Ahnung hätte, womit sie diesen
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