07 - Asche zu Asche
nichts. Die erste Woche ohne mich, beteuerte er, habe ihm die Wahrheit gezeigt. Den Rest der Zeit habe er damit zugebracht, zu versuchen, der Wahrheit entsprechend zu handeln. »Ich bin schwach, Baby. Aber du gibst mir Stärke wie sonst niemand.« Er küßte meine Fingerspitzen und sagte: »Fahren wir nach Hause, Liv. Ich will es wiedergutmachen.«
Diesmal war es anders, genau wie er gesagt hatte. Wir hausten nicht in einer stinkenden Bude irgendwo im dritten Stock mit Teppichflicken auf dem Boden und Mäusen in den Wänden. Wir logierten in einer Wohnung im Erdgeschoß einer ehemaligen Villa mit Erkerfenster und eleganten korinthischen Säulen rechts und links von der Veranda. Wir hatten einen offenen Kamin mit Schmiedeeisen und Kacheln. Wir hatten ein Schlafzimmer, eine Küche und eine Badewanne mit Klauenfüßen. Jeden Abend gingen wir ins Julip's, wo Richie mit seiner Band Musik machte. Wenn der Laden schloß, zogen wir durch die Kneipen. Wir feierten, wir tranken. Wir koksten, wann immer wir Stoff hatten. Wir ergatterten sogar mal etwas LSD. Wir tanzten, wir bumsten auf den Rücksitzen von Taxis, und wir kamen nie vor drei nach Hause. Wir aßen im Bett, chinesisch, aus dem Restaurant. Wir kauften Wasserfarben und bemalten einander die Körper. Einen Abend betranken wir uns, und er stach mir ein Loch für einen Ring in die Nase, Spätnachmittags veranstaltete Richie jam sessions mit seiner Band, und wenn er müde wurde, kam er immer zu mir.
Diesmal war's das Richtige. Ich war schließlich nicht von gestern. Ich merkte so was. Aber nur um ganz sicherzugehen, wartete ich zwei Wochen ab. Als dann immer noch alles in Ordnung war, fuhr ich nach Kensington und holte meine Sachen.
Mutter war nicht zu Hause, als ich kam. Es war ein Dienstagnachmittag, und der Wind blies in Böen, in diesen flatternden Wellenbewegungen, bei denen man den Eindruck hat, da oben im Himmel schüttle jemand ein großes Laken aus. Zuerst läutete ich. Die Schultern gegen den Wind hochgezogen, wartete ich und läutete noch einmal. Dann fiel mir ein, daß der Dienstag immer Mutters langer Tag auf der Isle of Dogs war. Da gab sie den großen Geistern unter ihren Fünftkläßlern Förderunterricht und bemühte sich redlich, die jungen Köpfe mit der allgemeingültigen Wahrheit zu füllen. Ich hatte meinen Hausschlüssel bei mir. Also sperrte ich einfach auf.
Als ich die Treppe hinaufrannte, spürte ich, wie bei jedem Schritt ein weiteres Stück verklemmten, beengenden bürgerlichen Familienlebens von mir abfiel. Wozu brauchte ich die tödliche Langeweile, die das Leben von Generationen englischer Frauen - ganz zu schweigen von meiner Mutter - bestimmte, die immer nur taten, was sich gehörte? Ich hatte Richie Brewster und das richtige Leben; ich brauchte all das, wofür dieses bedrückende Mausoleum in Kensington stand, nicht.
Nichts wie weg hier, dachte ich. Nichts wie weg.
Mutter war mir zuvorgekommen. Sie war nach Cambridge gefahren und hatte meine Sachen geholt. Sie hatte sie, zusammen mit dem Rest meiner Habseligkeiten, in Kartons verpackt, die, ordentlich mit Klebeband verschlossen, in meinem Zimmer auf dem Boden standen.
Dank dir, Miriam, dachte ich. Alte Kuh, alte Schachtel, alte Zimtzicke. Vielen Dank, daß du dich auf gewohnt kompetente Weise um alles gekümmert hast.
Ich sah die Kartons durch, entschied, was ich mitnehmen wollte, und warf den Rest aufs Bett und auf den Boden. Danach machte ich einen Rundgang durch das Haus. Richie hatte mir gesagt, daß das Geld knapp wurde, darum packte ich ein, was zu Kohle zu machen war: hier ein Stück Silber, dort einen Zinnkrug, ein oder zwei Porzellansachen, drei oder vier Ringe, ein paar Miniaturen, die auf einem Tisch im Salon zur Schau gestellt waren. Es war sowieso alles mein zukünftiges Erbe. Ich griff lediglich den Ereignissen ein wenig vor.
Das Geld blieb weiterhin knapp. Die Wohnung und unsere Ausgaben verschlangen mehr, als Richie verdiente. Um auch etwas beizutragen, suchte ich mir einen Job in einem Café in der Charing Cross Road, aber Richie und ich konnten nun mal mit Geld nicht umgehen. Daraufhin meinte er, der einzige Ausweg wäre, ein paar zusätzliche Engagements außerhalb anzunehmen.
In der Rückschau ist mir klar, daß ich hätte sehen müssen, was das alles zu bedeuten hatte: die Geldknappheit in Verbindung mit all den zusätzlichen Engagements. Aber anfangs habe ich es nicht gesehen. Nicht, weil ich es nicht sehen wollte, sondern weil ich es mir nicht erlauben
Weitere Kostenlose Bücher