07 - Asche zu Asche
geschlafen. Er hat den Rauch eingeatmet. Kohlenmon -«
»Wen interessiert das schon?«
»Dich, denke ich. Stan, Sharon, mich.«
»Ja, klar! Glaubst du vielleicht, den hätte das gekümmert, wenn von uns einer abgekratzt wäre? Da kann ich doch nur lachen! Der wäre noch nicht mal zur Beerdigung gekommen.«
»Hör auf, so zu reden!«
»Wie denn?«
»Du weißt genau, was ich meine.«
»Meinst du, ich soll keine Kraftausdrücke gebrauchen oder nicht die Wahrheit sagen?«
Sie antwortete nicht. Er fuhr sich mit gespreizten Fingern durch das Haar, ging zum Fenster und wieder zurück, blieb stehen. Sie versuchte zu erkennen, was in ihm vorging, und fragte sich, wann sie die Fähigkeit verloren hatte, innerhalb eines Augenblicks zu spüren, was mit ihm los war.
»Du sollst in diesem Haus nicht solche Reden führen«, erwiderte sie ruhig. »Du mußt schließlich mit gutem Beispiel vorangehen. Du hast einen Bruder und eine Schwester, für die du das Vorbild bist.«
»Tolle Geschwister!« prustete er verächtlich. »Stan ist ein Baby, das noch einen Schnuller braucht. Und Shar -«
»Hör auf, sie so runterzumachen.«
»Shar ist strohdumm und hat nichts als Scheiße im Hirn. Bist du eigentlich sicher, daß wir überhaupt miteinander verwandt sind? Weißt du genau, daß dich nicht außer Dad noch ein anderer angebumst hat?«
Jean stand auf. Sie ging auf ihren Sohn zu, aber seine Worte veranlaßten sie, stehenzubleiben.
»Kann doch leicht sein, daß du's auch noch mit anderen getrieben hast, oder? Zum Beispiel auf dem Markt. Nach der Arbeit, mit so 'nem schleimigen Fischhändler.« Er schnippte Asche von seiner Zigarette auf sein Hosenbein und wischte mit einem Finger darüber. Er fing an zu kichern, lachte, schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. »Hey, genau! Das ist es. Wieso bin ich da nicht früher drauf gekommen?«
»Worauf? Was meinst du?«
»Na, daß wir verschiedene Väter haben. Meiner ist der berühmte Cricket-Spieler, von dem hab ich das Aussehen und den Grips -«
»Halt endlich den Mund, Jimmy.«
»Shars Vater ist der Postbote, darum schaut ihr Gesicht aus wie 'ne abgestempelte Briefmarke.«
»Ich habe gesagt, es reicht.«
»Und Stans ist einer von den Typen, die die Aale auf den Markt bringen.«
Jean kam um den Couchtisch herum. »Woher hast du diesen Quatsch, Jim?«
Er schwieg und zog heftig an seiner Zigarette. Seine Hände zitterten.
Jean zwinkerte die aufsteigenden Tränen zurück. Sie verstand. »Ach, Jimmy«, murmelte sie. »Daddy wollte dir nie weh tun. Das mußt du doch wissen.«
Er drückte die Hände auf seine Ohren.
»Dein Vater ist tot, Jim.« Jean ging zu ihm und legte ihre Hände auf die seinen. Sie versuchte, sie von seinen Ohren wegzuziehen, aber es gelang ihr lediglich, ihm die Zigarette aus den Fingern zu schlagen. Sie fiel auf den Teppich. Jean hob sie auf und drückte sie in einem Aschenbecher aus.
»Und dann sind sie alle über sie drüber gestiegen. Die ganze Bande. Und haben sie halb zu Tode gevögelt. Aber sie konnte überhaupt nicht genug kriegen.« Seine Stimme schwankte. Seine Hände glitten von seinen Ohren zu seinen Augen. Seine Fingernägel krallten sich in sein Fleisch.
Sie kehrte zu ihm zurück und berührte seinen Arm. Er fuhr mit einem Aufschrei zurück.
»Dein Vater hat dich lieb gehabt«, beteuerte sie. »Er hat dich lieb gehabt, Jim. Immer.«
Da begann er zu weinen. Jean legte ihren Arm um seine Schultern, doch er riß sich von ihr los und rannte zur Treppe.
»Warum hast du dich nicht von ihm scheiden lassen?« schrie er schluchzend. »Warum nicht, sag? Mam! Du hältst dich doch von ihm scheiden lassen können.«
Jeannie sah ihm nach, als er nach oben rannte. Sie wollte ihm folgen, aber ihr fehlte die Kraft.
Statt dessen ging sie in die Küche, wo die Töpfe und das Geschirr des unberührten Abendessens auf Tisch und Arbeitsplatte herumstanden. Sie trug sie zusammen und säuberte sie, stapelte sie im Spülbecken, sprühte Spülmittel darüber, drehte das heiße Wasser auf und sah zu, wie es zu schäumen begann, weiß und duftig wie die Spitze an einem Hochzeitskleid.
Es war fast elf, als Lynley, mit Barbara Havers auf der Fahrt nach Hampstead, von seinem Bentley aus den Ehemann Gabriella Pattens anrief. Hugh Patten schien nicht überrascht, einen Anruf von der Polizei zu erhalten. Weder fragte er, weshalb ein Gespräch nötig sei, noch versuchte er Lynley mit der Bitte abzuwimmeln, das Gespräch auf den folgenden Tag zu verschieben. Er gab
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