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07 - Asche zu Asche

07 - Asche zu Asche

Titel: 07 - Asche zu Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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drückte beide Fäuste an ihre Stirn, schloß die Augen und versuchte zu beten.
    »Lieber Gott«, flüsterte sie. »Bitte, lieber Gott -« Worum bitte ich eigentlich? fragte sie sich. Was sollte Gott tun? Die Realität ändern? Die Fakten umkrempeln?
    Gegen ihren Willen sah sie ihn wieder vor sich: bewegungslos ausgestreckt in diesem kalten Raum voll geschlossener Schränke und rostfreien Stahls, steinern wie Marmor, er, der von rastloser Energie gewesen war, sprühend vor Leben und Leichtigkeit ...
    Sie sprang vom Sofa auf und begann im Zimmer hin und her zu laufen. Mit den Knöcheln der rechten Faust schlug sie hart in ihre geöffnete Linke. Wo ist er, wo ist er, wo ist er, dachte sie immer wieder.
    Das Geräusch eines Motorrads ließ sie innehalten. Es fuhr knatternd den Fußweg hinunter, der die Häuser an der Cardale Street von denen dahinter trennte. An der Gartenpforte tuckerte es lange Zeit im Leerlauf, als sei der Fahrer unschlüssig, was er tun sollte. Dann knarrte die Pforte und fiel zu, das Motorengeräusch kam näher, und auf der Höhe der Hintertür zur Küche spuckte die Maschine noch einmal und verstummte.
    Jean ging wieder zum Sofa und setzte sich. Sie hörte, wie die Küchentür geöffnet und wieder geschlossen wurde. Schritte auf dem Linoleum, und dann war er da:
    die »Doc Martens« mit den Metallkappen lose geschnürt; Jeans ohne Gürtel, schlaff um die Hüften; ein schmutziges T-Shirt mit Löchern am Hals. Mit einer Hand schob er sich das lange Haar hinter das Ohr, während er sein Gewicht auf einen Fuß verlagerte, so daß eine knochige Hüfte hervorstand.
    Er sah seinem Vater, als dieser im gleichen Alter gewesen war, unglaublich ähnlich. Jean war, als durchbohrte ein Speer ihr Herz, und sie hielt den Atem an, damit der Schmerz sich auflöste.
    »Wo warst du, Jim?«
    »Unterwegs.« Er hielt den Kopf wie stets zur Seite geneigt, als versuchte er, seine Größe zu kaschieren.
    »Hast du deine Brille mit?«
    »Nein.«
    »Ich mag es nicht, wenn du ohne Brille Motorrad fährst. Das ist gefährlich.«
    Er strich sich das Haar aus der Stirn und zuckte gleichgültig die Achseln.
    »Warst du heute in der Schule?«
    Sein Blick flog zur Treppe. Er spielte an der Gürtelschlaufe seiner Jeans.
    »Du weißt das von Dad?«
    Der Adamsapfel hüpfte in seinem mageren Hals. Sein Blick glitt zu ihr und wieder zur Treppe zurück. »Er ist tot.«
    »Woher weißt du es?«
    Er schob seine Faust in die Hosentasche und zog eine zerdrückte Packung JPS heraus. Mit schmutzigen Fingern holte er eine Zigarette hervor und steckte sie in den Mund. Er blickte suchend zum Couchtisch, dann zum Fernsehapparat.
    Jean schloß die Finger fest um die Streichholzschachtel.
    »Woher weißt du es, Jim?« fragte sie wieder.
    »Aus dem Fernsehen.«
    »Wo hast du ferngesehen?«
    »Bei einem Typen in Deptford.«
    »Wie heißt er?«
    Jimmy rollte die Zigarette zwischen den Lippen hin und her.
    »Du kennst ihn nicht. Ich hab ihn noch nie mitgebracht.«
    »Wie heißt er?«
    »Brian.« Er sah sie unverwandt an, immer ein sicheres Zeichen dafür, daß er log. »Brian. Jones.«
    »Ach, und bei dem warst du wohl heute? Bei Brian Jones in Deptford?«
    Er griff wieder mit den Händen in die Hosentaschen, erst vorn, dann hinten. Er klopfte sich ab und runzelte die Stirn.
    Jean legte die Schachtel Streichhölzer auf den Couchtisch und wies mit einer Kopfbewegung darauf hin. Jimmy zögerte, als fürchtete er einen Trick. Dann kam er doch näher. Er nahm hastig die Streichhölzer und riß eines an der Kante seines Daumennagels an.
    »Dad ist bei einem Brand ums Leben gekommen«, sagte Jean.
    »In dem Haus in Kent.«
    Jimmy machte einen langen Zug und neigte den Kopf in den Nacken, als könnte er so den Rauch noch tiefer in die Lunge ziehen und noch länger dort behalten. Sein Haar hing in fettigen Strähnen, die wie Rattenschwänze aussahen, steif von seinem Schädel herab. Es war rotblond wie das seines Vaters, aber so lange nicht gewaschen, daß die Farbe jetzt an uringetränktes Stroh in einem Pferdestall erinnerte.
    »Hast du mich gehört, Jim?« Jeannie bemühte sich, so ruhig und neutral zu reden wie der Nachrichtensprecher im Fernsehen. »Dad ist bei einem Brand umgekommen. In dem Haus in Kent. Am Mittwoch abend.«
    Er zog wieder an der Zigarette und vermied es, Jean anzusehen. Aber sein Adamsapfel hüpfte auf und nieder.
    »Jim!«
    »Was?«
    »Eine Zigarette hat das Feuer verursacht. Eine Zigarette in einem Sessel. Dad war oben. Er hat

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