07 - Old Surehand I
geschehen, wenn die andern Häuptlinge erfahren, daß ich alles verraten habe!“
„Du hast nichts verraten, sondern ich habe das alles vorher gewußt. Ich lag nahe am Beratungsfeuer, als Vupa Umugi mit den alten Kriegern den Überfall des Bloody-Fox besprach, und ich war dabei, als die zwei Boten Nale-Masiuvs kamen und den Wächtern am Fluß ihre Botschaft anvertrauten. Ich habe auch die Späher belauscht, welche Vupa Umugi nach dem ‚Kleinen Walde‘ schickte. Ja, Winnetou hat schon längst gewußt, daß Bloody-Fox von euch überfallen werden soll, und ist schleunigst nach dem Llano geritten, um ihm beizustehen.“
„Uff, uff, Winnetou! Darum sehe ich ihn hier mit so vielen Kriegern der Apachen!“
„Damit du dir keine Vorwürfe machst, will ich dir sogar anvertrauen, daß wir wissen, daß die weißen Soldaten nach dem Llano gelockt und durch die Pfähle, welche ihr heute gesteckt habt, in den Tod geführt werden sollen. Du hattest die Stangen zu stecken; dann kommt Vupa Umugi mit seinen hundertfünfzig Kriegern; hierauf folgen die Soldaten, und endlich soll Nale-Masiuv erscheinen, der nach seinen Wigwams um neue hundert Mann gesendet hat.“
„Uff! Uff! Entweder seid ihr viel, viel klügere Männer als wir, oder Manitou hat euch lieber als uns und steht euch gegen uns bei!“
„Manitou hat alle Menschen gleich lieb, die roten wie die weißen; aber wer ihm gehorcht und nach seinem Willen handelt, den beschützt er in jeder Gefahr und gibt ihm Weisheit und Verstand, alle Feinde zu überwinden. Wir werden sämtliche Krieger der Comanchen gefangennehmen.“
„Ich glaube es; ich glaube es; ich höre es dir an! Was werdet ihr dann mit den vielen Gefangenen tun?“
„Wir werden sie zum Guten ermahnen und ihnen dann die Freiheit wiedergeben.“
„Obgleich sie eure Feinde sind?“
„Der Christ kann Feinde haben, ist aber niemals selbst ein Feind. Seine Rache besteht in der Verzeihung.“
Er wendete den Kopf wie unter einer innern Qual hin und her und meinte, tief und schwer atmend:
„So können nur die Bleichgesichter sein; ein roter Krieger aber kann und darf das nicht!“
„Du irrst. Grad der tapferste und berühmteste unter den roten Kriegern ist genauso, wie du es jetzt von mir hörtest.“
„Wen meinst du?“
„Wen anders doch als Winnetou?“
„Den Häuptling unserer ärgsten Feinde, der Apachen!“
„Warum nennt ihr sie eure Feinde? Haben sie euch angegriffen, oder seid ihr es, von denen das Beil des Kriegs ausgegraben worden ist? Ihr wart stets die ersten, die zum Angriff schritten, und doch sagte Winnetou erst gestern abend, daß womöglich das Blut keines einzigen Comanchen vergossen werden soll! Die roten Männer und Völker müssen untergehen, weil sie nicht aufhören, sich untereinander selbst zu zerfleischen; ihr Manitou ist ein Manitou des Bluts und der Rache, der ihnen selbst in den ewigen Jagdgründen keinen Frieden, sondern Schlachten und Kämpfe ohne Ende bietet. Unser Manitou aber hat uns ein großes Gebot gegeben, welches alle, die an ihn glauben, schon hier auf Erden glücklich und nach dem Tod ewig selig macht.“
„Will Old Shatterhand mir dieses Gebot sagen?“
„Es lautet: wir sollen ihn allein verehren und alle Menschen lieben wie uns selbst, mögen sie nun unsre Freunde oder unsre Feinde sein.“
„Auch unsre Feinde?“ fragte er, indem er mich mit weit offenen erstaunten Augen ansah.
„Ja, auch die Feinde.“
„Wie uns selbst?“
„Wie uns selbst.“
„So soll ich einen Apachen, der mir nach dem Leben trachtet, so lieben, wie ich meinen Vater liebte und wie ich mich selbst liebe?“
„Ja. Es gibt eine einzige große Liebe, welche, wenn sie wahr ist, nicht in einzelne größere und kleinere Teile zerfallen kann.“
„Dann sind es nur die Bleichgesichter, die sie haben; einem roten Krieger aber ist es niemals möglich, seinen Feind oder gar mehrere zu lieben.“
„Denke an Winnetou! Wir waren Todfeinde und sind Brüder geworden, die allezeit bereit sind, ihr Leben füreinander zu lassen. Ihr seid seine Feinde, und doch verzeiht er es euch, daß ihr ihm und den Seinen nach dem Leben trachtet. Er gibt euch, seinen grimmigen Feinden, die Freiheit zurück, obwohl er weiß, daß ihr ihn trotzdem nicht weniger hassen werdet. Wie oft war ich dabei, wenn er Feinde besiegte, die ihn töten wollten; ihr Leben lag in seiner Hand; er konnte es ihnen nehmen; er hat es ihnen aber stets geschenkt. Darum ist er geehrt und berühmt, so weit man seinen Namen
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