07 - Old Surehand I
seinen Comanchen entweicht.“
Nun war weiter nichts zu sagen, und wir ritten fort, als eben die dünne Sichel des Monds am Horizont erschien.
Ein nächtlicher Ritt durch die im Mondenschein sich dehnende Wüste! Wie gern gönnte ich meinen lieben Lesern die hehren Empfindungen, welche die Menschenbrust dabei höher und höher schwellen lassen! Nur muß das Herz frei von Sorge und von allem sein, was es beklemmen und beengen kann.
Ich habe zuweilen geträumt, ich könne fliegen; der Körper ist vorhanden, hat aber weder Umfang noch Gewicht und scheint sich in eine durchaus rein geistige Potenz verwandelt zu haben, die frei in alle Richtungen streben kann, ohne durch den hindernislosen Raum gestört zu werden. So bin ich geschwebt hoch über der Erde hin, weit über sie hinaus, von Mond zu Mond, von Stern zu Stern, aus einer Unendlichkeit in die andre, von unaussprechlicher Wonne erfüllt. Das war aber nicht eine Wonne des Stolzes darüber, daß ich selbst es war, der den Raum besiegte, sondern die demütige und vertrauensvolle Seligkeit, daß allmächtige Liebe mich trug und immer weiter und weiter führte. Dann lag ich nach dem Erwachen noch lange geschlossenen Auges da, um mich langsam zu besinnen, daß es nur ein Traum gewesen und ich ein ohnmächtiger Knecht der Zeit und des Raums sei.
Nicht so wie in einem solchen Traum, aber ähnlich ist es, wenn man auf leichtfüßigem Pferd oder Dromedar über die Wüste fliegt. Man kennt nichts Störendes, nichts Hemmendes, denn das einzige Hindernis, welches es gibt, ist der Boden, der hinter einem verschwindet und mehr einen Halt als eine Hemmung bietet. Das Auge haftet nicht auf ihm, sondern auf dem Horizont, der sich wie eine sichtbare, aber nicht zu greifende Ewigkeit immer von neuem gebiert; es richtet sich nach oben, wo zwischen den strahlenden Lichtern des Himmels immer andre und andre, immer mehr und mehr Lichter erscheinen, bis der Blick sie nicht mehr zu fassen vermag. Und wenn der Sehnerv an dieser Anfangs- und Endlosigkeit ermüdet und die staunend erhobene Wimper sich niedersenkt, so währt die Unendlichkeit im eigenen Innern fort, und es entstehen Gedanken, die nicht auszudenken sind; es steigen Ahnungen auf, die man vergeblich in Worte fassen möchte, und es wallen und wallen Gefühle und Empfindungen empor, die man aber nicht einzeln zu fühlen und zu empfinden vermag, weil sie eine einzige, endlose Woge bilden, auf und mit welcher man weiter und weiter schwebt; immer tiefer und tiefer hinein in ein andächtiges Staunen und ein beglückendes Vertrauen auf die unfaßbare und doch allgegenwärtige Liebe, welche der Mensch trotz des Wörterreichtums aller seiner Sprachen und Zungen nur durch die eine Silbe anzustammeln vermag: – Gott – Gott – Gott –!
Könnte mir jemand eine Feder geben, aus welcher die richtigen Worte flössen, den Eindruck zu beschreiben, den ein solcher nächtlicher Wüstenritt auf ein gläubiges Menschenherz hervorbringt! Es senkt sich von den leuchtenden Sternen des Firmaments eine große, himmlische Bestätigung nieder auf das Gemüt: Du hast das rechte Teil erwählt, und das soll nicht von dir genommen werden! Der aber, der seinen Gott verloren hat, der reitet durch Sand und Sand und wieder Sand; er sieht nichts als Sand; er hört ihn stunden- und stundenlang von den Hufen des Pferdes rieseln, und wie die traurige Öde sich vor ihm immer und immer erneuert und ihm nichts bringt und bietet als Sand und wieder Sand, so gibt es in den verlorenen Tiefen seines Innern auch nur eine unsagbar elende Wüste, einen trostlosen, toten Sand, der keinem Hälmchen, keinem Würzelchen Leben bieten kann. Für solch einen Unglücklichen kann man nichts tun als nur beten.
Wirklich? Kann man wirklich gar nichts, gar nichts für ihn tun als nur beten?
Ich war, ohne daß ich darauf achtete, lange, lange Zeit vorangeritten, mich nur und ganz der stillen, wortlosen Anbetung hingebend, die mir die Hände gefaltet und die Zügel aus ihnen hatte sinken lassen. Da wurde ich aus ihr aufgestört; die Stimme des alten Wabble erklang neben mir:
„Sir, was treibt Ihr da? Ich glaube gar, Ihr betet?“
Die Worte klangen ironisch; ich antwortete nicht.
„Nehmt die Zügel auf!“ fuhr er fort. „Wenn Euer Pferd bei diesem Galopp stolpert, könnt Ihr den Hals brechen!“
Ich hatte das Gefühl eines durstig Trinkenden, dem man den Becher von den Lippen reißt, um ihm Aloe hineinzuschütten.
„Was geht Euch mein Hals an!“ antwortete ich kurz und
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