07 Von fremder Hand
verstreut. Faith verzog das Gesicht, als sie Licht machte und Futter in die Katzenschüsseln füllte, wobei sie möglichst wenig anzufassen versuchte. Der Anblick des Auflaufs, den Garnet noch am Tag ihres Todes gekocht hatte, war fast zu viel für sie.
In Garnets Büro waren die Spuren der polizeilichen Durchsuchung noch viel deutlicher. Alles war von Fingerabdruckpulver bedeckt, und das ganze Zimmer war ein Meer von Papieren. Die Schubladen in Garnets Schreibtisch waren aufgebrochen worden, und bis auf eine waren sie alle leer.
Sie zündete das Licht auf dem Schreibtisch an und besah sich den Inhalt der Schublade, die die Polizisten nicht ausgeräumt hatten. Sie enthielt ein halbes Dutzend Notizbücher mit Spiralheftung, und als Faith sie aufschlug, stellte sie fest, dass sie alle mit technischen Aufzeichnungen über die Fliesenherstellung angefüllt waren. Kein Wunder, dass die Polizei kein Interesse daran gehabt hatte.
Garnet hatte das Geheimnis der Herstellung der Glasuren für ihre Fliesen so eifersüchtig gehütet, dass es fast schon krankhaft gewesen war. Sie hatte immer wieder betont, dass es diese Glasuren seien, die ihr Werk so einmalig und ihre Restaurierungsarbeit überhaupt erst möglich machten. In einer redseligen Laune erzählte sie Faith einmal, dass sie nur solche Naturmaterialien verwendete, die auch den mittelalterlichen Handwerkskünstlern zur Verfügung gestanden hatten, und so die authentischen Farben zu Stande brachte, für die ihre Fliesen so geschätzt wurden.
Doch es hatte den Anschein, als seien Garnets Geheimnisse nicht mit ihr gestorben. Die Kladden enthielten nicht nur umfangreiche Notizen, sondern auch Aufzeichnungen von Formeln und Experimenten, sowohl erfolgreichen als auch misslungenen.
Faith war so fasziniert, dass sie die Zeit vergaß, bis ein Blick in Richtung des dunkler werdenden Fensters sie daran erinnerte, dass sie sich beeilen musste. Sie hatte mit allem fertig und wieder im Café sein wollen, wenn Duncan sie abholen kam; allerdings hatte sie sich noch nicht überlegt, was sie Buddy erzählen würde.
Sie legte die Notizbücher zurück und dachte einen Augenblick nach. Das Büro war eine Sackgasse. Wenn dort irgendetwas Brauchbares gewesen wäre, hätte die Polizei es längst gefunden. Langsam ging sie zurück in die Küche. Hier war das Herz des Hauses, der Raum, in dem Garnet sich aufgehalten hatte, wenn sie nicht gearbeitet hatte. Hier hatte sie beim Kochen gesungen, hier hatte sie in dem alten, abgenutzten Schaukelstuhl gesessen und gelesen.
Faith ließ sich in den Schaukelstuhl nieder. Hier hätte sie ihr eigenes Kind geschaukelt, wäre Garnet nicht gestorben. Sie sah sich um, versuchte die Küche mit Garnets Augen zu sehen. Garnet hatte nicht viele Dinge ihr Eigen genannt, doch zu ihren kostbarsten Besitztümern zählte sie ihre Bücher, besonders ihre Kochbücher. Sie standen in der kleinen Nische über dem Herd, die der Mahlstrom der Hausdurchsuchung offenbar verschont hatte.
Ächzend vor Anstrengung, hievte Faith sich hoch und ging zu dem Regal, wo sie ein Buch nach dem anderen hervorzog und eilig durchblätterte.
In einem vegetarischen Kochbuch, das sie Garnet nur selten hatte benutzen sehen, fand Faith schließlich die Papiere. Unter dem Schutzumschlag steckten sie - mehrere Bogen Schreibpapier, bedeckt mit Garnets spitzer Handschrift, ausgerissene Seiten aus einem Buch und ein Zeitungsausschnitt, vom Alter ganz vergilbt und brüchig.
Zuerst entfaltete sie die bedruckten Seiten, und beim Lesen weiteten sich ihre Augen vor Entsetzen. Die Seiten stammten offensichtlich aus einem Lehrbuch der alten Magie, doch dies waren nicht die harmlosen Zeremonien, die Garnet ihr beigebracht hatte - hier handelte es sich um Rituale, mit denen die finstersten und ältesten Mächte aus der Tiefe beschworen werden sollten; Rituale, in denen der Tor gefeiert wurde als der Eingang zur Unterwelt, der Heimat der Großen Mutter. Die Teilnehmer an dem Ritus begannen damit, dass sie das uralte spiralförmige Labyrinth abschritten, die physische Manifestation jenes Energiestrudels, der sie zum Gipfel heraufziehen und dann in das Herz des Tor hinabstoßen würde. Diejenigen, die Chaos und Tod über sich ergehen ließen, würden als Wiedergeborene herauskommen, erfüllt von der Kraft der Urmutter.
Als sie das las, wurde Faith ohne jeden Zweifel klar, dass es diese Kraft gewesen war, die sie zum Tor gebracht hatte, und dass Garnet es
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