07
darüber, zu was ich imstande war, wusste.
Ich hatte, nur durch Zufall, Jessicas Krebs geheilt und eine achthundert Jahre alte Vampirbibliothekarin getötet. Und das, ohne je Hand an die Bibliothekarin gelegt zu haben. Ich hatte sie einfach . . irgendwie in mich hineingezogen. Das, was von ihr übrig geblieben war, wäre zu wenig für eine Urne gewesen.
Darüber machten sich Tina und Sinclair keine Gedanken, denn das hatte ich getan, um Sinclair zu retten. Aber sie machten sich Sorgen, weil ich nicht wusste, wie ich es getan hatte, und weil ich es nicht noch einmal tun konnte.
Nicht dass ich es nicht versucht hätte. Das hatte ich wirklich. Also kam ich zu dem Schluss, dass erst jemand sterben musste, damit ich meine hübsche neue Kraft noch einmal ausprobieren könnte. Und damit war die Sache für mich erledigt.
Sinclair hatte einige Zeit in der Bibliothek verbracht und das Buch der Toten studiert. Er dachte, ich wüsste das nicht. Aber ich verstand seine Verwirrung und ich wusste, dass er sich vorsah.
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Wenn man das Ding - das mit Blut auf Menschenhaut von einem vor Hunderten von Jahren gestorbenen irren Vampir geschrieben worden war -
nämlich zu lange las, wurde man verrückt. Der Vorteil war: Es hatte immer recht. Der Nachteil: Es gab kein Inhaltsverzeichnis und kein Register. Man öffnete es einfach und hoffte, dass man etwas las . . nun ja, das einem weiterhalf.
Das Schlimmste war, dass ich es nicht loswurde. Ich hatte es in Brand gesetzt und es in den Mississippi geworfen (zweimal!). Es kam immer wieder zu mir zurück. Es war wirklich ein gruseliges Buch, das ich mich nicht zu lesen traute.
Und ich traute mich auch nicht, Sinclair zu sagen, dass ich wusste, dass er darin las. Wie hätte ich das auch tun können, ohne über Jessicas Heilung zu reden oder das, was ich mit Marjorie getan hatte?
Ganz zu schweigen von dem, was ich Ant und meinem Vater angetan hatte.
Ich hatte mir ein Kind gewünscht und ich hatte eines bekommen - weil sie bei einem Unfall ums Leben gekommen waren. Es war nicht meine Schuld, sondern wie in der Erzählung „Die Affenpfote", wo drei Wünsche gewährt werden, allerdings um einen schrecklichen Preis. Damals hatte ich einen Verlobungsring getragen, der mit einem Fluch belegt war. Dann hatte es plötzlich einen schrecklichen Autounfall gegeben und ich war der alleinige Vormund meines Halbbruders Baby Jon.
Gott sei Dank war er dieses Wochenende bei der Tochter des Teufels und somit nicht von den Biestern in Stücke gerissen worden!
(Ich kann nicht glauben, dass ich das gerade gesagt habe. Da sehen Sie, was aus meinem Leben geworden ist.)
Ich wusste nicht, was schlimmer war: dass mein distanzierter Vater und meine böse Stiefmutter tot waren oder dass ich nicht allzu traurig darüber war? Schließlich war er nie für mich da und sie ein Albtraum mit Betonfrisur gewesen.
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Ein Albtraum, der mich nun heimgesucht hatte. Vielleicht hatte ich ja Glück.
Vielleicht war das, was ich gesehen hatte, gar kein richtiger Geist, sondern nur eine Halluzination gewesen, der Beginn eines dauerhaften Hirnschadens.
Ich seufzte, als wir in die Auffahrt einbogen. Ich hatte ein bisschen Glück verdient, sagte ich mir.
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„Das ist eine sehr unpassende Uhrzeit", bemerkte mein Ehemann, als ich an die Tür der Nummer 1001 in der Tyler Street klopfte - einem kleinen, gepflegten grau-weißen Haus.
„Was du nicht sagst!", murmelte ich. Die Villa hatte in Trümmern gelegen und Jessica hatte eine Armee von Handwerkern engagiert. Selbst jetzt noch, am nächsten Abend, waren sie dort zugange. Von den Biestern gab es keine Spur und Tina hatte versprochen, Marc und Jessica beim ersten Anzeichen von Arger in den Tunnel zu bringen. Sie war sogar so umsichtig gewesen, am Eingang zum Keller Taschenlampen zu deponieren. Und Marcs Knöchel ging es wieder viel besser. Gott sei Dank war er nicht gebrochen.
„Warum sind wir dann hier?", fragte Sinclair und sah sich in der aufgeräumten Vorortstraße um. Der Stadtteil Inver Grove Heights war berühmt für seine aufgeräumten Vorortstraßen.
„Weil er seit Monaten eingesperrt ist und dies das erste Mal ist, dass ich ihn besuche, seitdem ich verheiratet bin."
„Und...?"
„Ich will, dass mein sturer, wütender, sterbender Großvater meinen toten Ehemann kennenlernt. Und jetzt setz ein Lächeln auf und freu dich auf deine neue Familie!"
Sinclair rang sich eine freundliche Grimasse ab, als die Frau, die das Pflegeheim führte, uns ins Haus geleitete.
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