070 - Neues vom Hexer
einfaches Landhaus in der Nähe von Norbury. Dort hielt er sich häufiger auf, als irgendeiner seiner Feinde ahnte.
Hinter dem Haus lag ein bescheidener Garten, in dem er sich viel zu scharfen machte. Über den Zaun hinweg unterhielt er sich manchmal mit seinem Nachbarn über alle mögliche Dinge, wie Veredlung von Rosen, Gemüsebau und die unangenehme Katzenmusik in der Nachbarschaft.
Oft kam es allerdings nicht zu solchen Gesprächen, denn Kapitän Oring, der das Haus nebenan bewohnte, war nur selten an Land. Der biedere graubärtige Mann sehnte sich nun schon seit vierzig Jahren danach, in Frieden an Land zu leben, aber er hatte es noch nicht soweit gebracht. Er war Kapitän und Miteigentümer eines kleinen Dampfers, der zwischen London und Suez verkehrte.
Seine Söhne besaßen die anderen Anteile; der eine war Erster Offizier auf dem Schiff, der andere Chefingenieur und der dritte, der ein Geschäft in London hatte, besorgte ihnen die Frachten. Seine hübsche junge Tochter, die sehr gern ins Kino ging, führte ihrem Bruder die Wirtschaft.
Als der Hexer einmal einige Zeit nicht in England weilte, verschwand dieses Mädchen. Ihr Vater war zu der Zeit auch gerade auf See.
Kapitän Oring konnte Milton die Sache nicht im Zusammenhang erzählen, denn er war zu sehr erschüttert. Aber der Hexer verstand ihn trotzdem sehr gut.
»Mein Sohn hat sie nach vielen Mühen schließlich gefunden… sie lebt jetzt bei meiner Schwester auf dem Lande. Natürlich habe ich versucht, diesen Schuft und seine Mutter zu finden, aber was kann ich in London schon machen? Zur Polizei möchte ich nicht gehen… ich will nicht haben, daß die ganze Geschichte in den Zeitungen breitgetreten wird. Aber wenn mir der Kerl einmal unter die Finger kommt .«
»Sie können schwer etwas machen«, meinte Milton, »aber vielleicht gelingt es mir – ich komme ja viel herum.«
Er galt in der Gegend als der Geschäftsreisende Ernest Oppenton.
Oring ging mit seinen Söhnen wieder auf Fahrt. Henry Arthur Milton hatte dringend in Berlin zu tun, und es sah fast so aus, als ob er die Geschichte von Lucy Oring vergessen habe.
Aber er vergaß solche Fälle niemals, und bei seiner Rückkehr nach London besuchte er häufig eine gewisse Art von Klubs im Westend, die schnell auftauchen und nach kurzer Zeit wieder von der Bildfläche verschwinden.
Er belauschte manche Gespräche und erfuhr viel von Kellnern. Besonders italienische Kellner sind sehr mitteilsam, wenn man sich in ihrer Muttersprache mit ihnen unterhalten kann. Auch die Damen, die dort verkehren, erzählten ihm interessante Dinge, denn er hielt sie in großzügiger Weise frei.
Eines Nachmittags stand eine vertrauenerweckende ältere Frau mit weißem Haar im Victoria-Bahnhof und beobachtete die Einfahrt eines Zuges.
Die Dame betrachtete alle herauskommenden Reisenden genau, und nach einiger Zeit entdeckte sie ein hübsches junges Mädchen in einem dunkelbraunen Kleid, das einen Koffer und einen Blumenstrauß trug.
Sie näherte sich ihr.
»Wenn ich nicht sehr irre, sind Sie Miss Clayford? Ich dachte es mir gleich. Ich bin Mrs. Graddle, und ich hielt es für gut, Sie abzuholen und sicher durch London zu bringen.«
Das Mädchen nickte dankbar.
»Ich überlegte mir gerade, was ich anfangen sollte. Sind Sie von der Stellenvermittlung?«
Die ältere Dame lächelte.
»O nein, aber eine Freundin informiert mich über alles, was dort vorgeht. Es ist meine Lieblingsbeschäftigung, und ich tue alles, um jungen Mädchen zu helfen. Nun begleiten Sie mich aber erst in meine Wohnung und trinken Tee mit mir. Soviel ich weiß, kommen Sie in eine recht einsame Gegend. Ein Gehalt von vierzig Pfund im Jahr für ein Kindermädchen ist eigentlich sehr niedrig. Und dazu so weit draußen auf dem Lande, wo man nichts erlebt und nichts zu sehen bekommt!«
Sie sprach dauernd weiter, während sie mit Miss Clayford ins Freie trat. Elsie Clayford hörte enttäuscht zu. Vierzig Pfund waren wirklich sehr wenig, aber die Leute, zu denen sie gehen wollte, sollten doch sehr freundlich sein und in einer schönen Villa wohnen. Sie trat zum erstenmal eine Stellung an.
»Es wäre ganz nett, wenn Sie noch ein paar Tage bei mir bleiben könnten«, meinte Mrs. Graddle, als sie einer Taxe winkte.
»Ich habe ein hübsches kleines Haus in St. John’s Wood, und es verkehren immer viele junge Leute bei uns. Ich habe mich schon mit Lady Shene telefonisch in Verbindung gesetzt, und sie ist damit einverstanden. Man kommt nicht zu
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