070 - Neues vom Hexer
dort aus ein Taxi nach ihrer Wohnung. Schließlich kam sie erschöpft in ihrer Villa in St. John’s Wood an.
Es war ein sehr hübsches Haus mit einem großen Empfangssaal, den sie häufig für ihre Gesellschaften brauchte. Sie ging rasch zu ihrem kleinen Wohnzimmer hinauf, wo ihr Sohn einige Sandwiches verzehrte und dabei die Abendzeitung las.
»Hallo, hast du sie mitgebracht?« fragte er erwartungsvoll.
Er war ein etwas phlegmatischer junger Mann von etwa dreißig Jahren mit dickem Gesicht und müden Augen. Atemlos erzählte sie, was geschehen war.
»Das ist allerdings verdammt unangenehm«, meinte er. »Wer war denn dieser Mann? Kennst du ihn? Du hast ihn für einen Detektiv gehalten? Verdammt unangenehm! Und sie kennen auch die Geschichten in Leeds und in Manchester? Man sollte es nicht für möglich halten!«
Er hatte allen Grund, sich zu fürchten, denn er selbst war nur mit knapper Not in Manchester der Polizei entkommen, und es wäre ihm viel schlechter gegangen als seiner Mutter, wenn er gefaßt worden wäre.
»Aber warum fürchtest du dich denn? Ich habe den Kerl doch durch Geld zum Schweigen gebracht.« Sie drückte auf die Klingel, und kurz darauf erschien ein Dienstmädchen. »Wir brauchen das Zimmer für die junge Dame nicht. Sie ist nicht gekommen«, erklärte Mrs. Graddle kurz und ärgerlich.
Als das Mädchen verschwunden war, wandte sie sich wieder an ihren Sohn.
»Um Gottes willen, sitz doch nicht da und mach ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter! Du brauchst doch keine Angst zu haben, Julian.«
Aber er war anderer Meinung.
»Ich habe schon lange Sorge gehabt, daß so etwas kommen würde. Schon, seitdem dieser Oring wieder auftauchte. Ich glaube, wir gehen am besten auf einige Zeit aufs Land – wie denkst du über Margate? Dort können wir zwei oder auch drei Monate wohnen, bis die Sache hier vorüber ist – «
»Ach, sie ist doch bereits vorüber«, unterbrach sie ihn.
Julian Graddle ging am nächsten Morgen nur sehr ungern ins Geschäft. Er mußte in Westend zwei Kundinnen besuchen, denn er war von Beruf Damenfriseur. Seiner Mutter kam das sehr zustatten, da Frauen viel von ihren Dienstboten oder von jungen Mädchen sprechen, die in Bedrängnis kommen. Einige ihrer besten Funde kamen auf Julians Rechnung.
Er war nicht gerade in der glänzendsten Stimmung, als er von der ersten Kundin kam, die eine etwas temperamentvolle Dame war, und auch nach dem zweiten Besuch fühlte er sich nicht wohler. Am nächsten Tag mußte er in das Friseurgeschäft gehen, in dem er angestellt war, und dauernd verfolgte ihn der Gedanke, daß ein Polizist auf der Bildfläche erscheinen werde, um ihn zu verhaften.
Nach Geschäftsschluß war er noch zu einer Miss Smith, 34 Grine Mews, bestellt. Er war durchaus nicht verwundert, daß er in eine Nebenstraße gerufen wurde, denn viele vornehme Leute hatten in früheren Garagen elegante Wohnungen eingerichtet.
Die Bewohnerin des Hauses 34 Grine Mews schien die Absicht zu haben auszuziehen, denn er sah ein Plakat: Zu vermieten! Er klopfte an die Tür, und es wurde ihm auch sofort geöffnet?
»Treten Sie näher«, sagte eine Männerstimme freundlich. »Sind Sie der Friseur? Miss Smith wartet schon auf Sie.«
Julian stieg die steile Treppe hinauf. Ein unangenehmer Geruch schlug ihm entgegen, als ob die Wohnung lange nicht bewohnt gewesen sei. Vielleicht war Miss Smith auch gerade erst eingezogen.
Der Mann war vorausgegangen und machte ihm jetzt auf. »Kommen Sie herein. Es ist sehr dunkel, aber ich werde gleich Licht machen.«
Julian trat ein, ohne Verdacht zu schöpfen, und die Tür schlug hinter ihm zu. Das Licht ging an, aber es standen keine Möbel in dem Raum, und der Fußboden und der Kamin waren mit Staub bedeckt. Vor dem kleinen Fenster hing eine rauhe Pferdedecke.
»Rühren Sie sich nicht von der Stelle«, sagte der Hexer plötzlich. Er hatte das Gesicht mit einer Maske bedeckt. »Wenn Sie schreien, erschieße ich Sie.«
Julian wurde aschfahl im Gesicht, als er die Pistole in der Hand des Mannes sah.
»Was… wie…?« begann er mit stockender Stimme.
»Stellen Sie keine Fragen. Gehen Sie durch die Tür!«
Wie im Traum gehorchte der Gefangene. In dem inneren Raum sah er einen beschädigten Tisch und ein dunkles Sofa, die der frühere Besitzer anscheinend zurückgelassen hatte.
Auf dem Tisch stand ein Glas Rotwein, und der Hexer zeigte darauf. »Trinken Sie das«, befahl er kurz.
Julian wandte sich verstört um.
»Ist es vergiftet?« fragte er
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