070 - Neues vom Hexer
oft nach London. Vielleicht wollen Sie sich noch ein paar Theaterstücke ansehen, bevor Sie aufs Land gehen .«
Elsie hatte nicht die geringste Ahnung, wer Mrs. Graddle war, aber sie hielt sie für ein Mitglied einer der wohltätigen Organisationen, die sich junger Mädchen in der Hauptstadt annehmen. Es war doch eigentlich sehr angenehm, daß derartige Gesellschaften existierten.
Als sie der weißhaarigen alten Dame auf dem Bahnhof begegnete, hatte sie auch einen großen, schlanken Herrn mit schwarzen Haaren und einer großen Hornbrille bemerkt. Er sah düster aus und hatte sie sonderbar von der Seite angesehen, so daß sie fast Furcht bekam. Nun stand er plötzlich dicht neben ihr, als der Wagen hielt.
»Steigen Sie ein, mein Liebling«, sagte Mrs. Graddle.
Elsie kam der Aufforderung nach. Die alte Dame wollte ihr gerade folgen, als der Mann mit der Brille sie am Arm packte, leicht zur Seite zog und die Wagentür schloß.
»Fahren Sie nach dem Kings-Cross-Bahnhof«, beauftragte er den Chauffeur, während er Mrs. Graddle immer noch festhielt. Dann sprach er zu dem jungen Mädchen durch das offene Wagenfenster. »Ihr Zug geht um fünf Uhr zweiunddreißig, und Lady Shene erwartet Sie wahrscheinlich auf dem Bahnhof in Welwyn. Haben Sie genügend Geld, um die Fahrt zu bezahlen?«
»Ja«, erwiderte Elsie verstört.
»Gut. Sprechen Sie in Zukunft nicht mehr mit fremden Leuten, besonders nicht mit netten weißhaarigen Damen.« Auf seinen Wink fuhr das Auto ab.
»Was soll denn das heißen?« fragte Mrs. Graddle atemlos. Der Herr mit der großen Brille hatte bereits eine andere Taxe angerufen.
»Steigen Sie ein«, sagte er, und sie gehorchte zitternd.
Er folgte ihr.
»Ich habe dem Chauffeur gesagt, daß er durch den Park fahren soll. Am Ende von Birdcage Walk werde ich Sie absetzen.«
»Ich möchte Sie am liebsten der Polizei anzeigen«, erwiderte sie aufgeregt. »Wer sind Sie denn, daß Sie sich so etwas herausnehmen dürfen?«
Er ging nicht auf ihre Frage ein.
»Sie sind schon zweimal verurteilt worden – einmal in Leeds und einmal in Manchester, und zwar wegen einer ganzen Anzahl von Vergehen. Sie machen sich ein Gewerbe daraus, junge Mädchen auszunützen. Sie suchen Bekanntschaft mit Angestellten bei großen Stellenvermittlungen, und dadurch erhalten Sie allerhand Informationen. Zu ähnlichen Zwecken besuchen Sie die Kinos.«
»Sie können mir nichts beweisen«, entgegnete sie heftig, »selbst wenn Sie mich verhaften – aber einen solchen Unsinn werden Sie ja doch nicht machen.«
Sie öffnete mit zitternden Fingern ihre Handtasche und kramte darin herum. Schließlich fand sie ein Bündel Banknoten.
»Also, seien Sie vernünftig und machen Sie weiter keinen Spektakel«, bat sie.
Der Hexer nahm das Geld und zählte es.
»Fünfundsechzig Pfund sind eigentlich keine große Bestechungssumme.«
Mit einem Seufzer öffnete sie eine innere Tasche und nahm zwei Banknoten über je hundert Pfund heraus.
»Das ist alles, was ich bei mir habe.« Sie war nahe daran, in Tränen auszubrechen.
Der Hexer klopfte an das Fenster, und der Wagen hielt. Draußen regnete es heftig, und es waren nur wenig Leute auf der Straße zu sehen.
»Haben Sie Kinder?« fragte er.
»Nein«, erwiderte sie schnell.
»Sie haben ein ganz niederträchtiges Gewerbe. Ist es Ihnen schon jemals zum Bewußtsein gekommen, welchen Schrecken die armen Eltern durchleben, die auf ihre Kinder warten und in vollständiger Unsicherheit über ihr Geschick dahinleben?«
»Darüber will ich nicht mit Ihnen sprechen«, sagte sie wütend.
»Sie haben Ihr Geld bekommen. Um andere Dinge brauchen Sie sich nicht zu kümmern. Ich habe keine Kinder.«
»Ich glaube, Sie haben recht«, erwiderte er geheimnisvoll und öffnete die Tür für sie.
»Der Chauffeur soll mich bis zur Untergrund fahren«, sagte sie, aber er schüttelte den Kopf.
»Sie können hier aussteigen und zu Fuß gehen. Da werden Sie wenigstens einmal ordentlich naß!«
Sie schimpfte, aber der Hexer ließ sich dadurch nicht im mindesten stören. Während sie schnell nach dem Parliament Square ging, bezahlte er den Wagen.
Er zog seinen Regenmantel an, den er bis dahin über dem Arm getragen hatte, steckte die Brille ein und wischte mit seinem Taschentuch den Schnurrbart ab. Er wollte kein Risiko auf sich nehmen, besonders da er wußte, wohin Mrs. Graddle ging.
Sie machte sich viel Mühe, ihn von ihrer Spur abzulenken, fuhr zuerst mit der Untergrundbahn nach South Kensington und nahm von
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