070 - Neues vom Hexer
jüngeren Dame überlassen müssen und lebte in einer Pension in Hythe. Mr. Orsan zahlte ihr wöchentlich vier Pfund.
Das war sehr wenig, denn sie mußte davon nicht nur sich, sondern auch ein kleines Kind unterhalten.
In derselben Pension wohnte auch ein stiller, ruhiger Mann. Man wußte nicht genau, wie alt er war, aber er sah sehr gut aus, wenn sich auch sein Haar an den Schläfen bereits etwas grau färbte. Er stand mit allen Leuten gut, und alle schenkten ihm ihr Vertrauen. Sie beichteten ihm selbst Sorgen und Geheimnisse, die sie ihren nächsten Bekannten und Freunden nicht erzählt hätten. Besonders liebte er kleine Kinder, und er konnte auch sehr gut mit ihnen umgehen, denn er hatte früher, wie er sagte, einmal in Edinburgh ein Kinderheim verwaltet.
Chefinspektor Bliss suchte den Hexer überall, aber er hätte ihn nicht in dieser stillen Pension in Hythe vermutet. Aber Henry Arthur Milton erfuhr auf diese Weise von dem schlechten Charakter Mr. Orsans. Miss Brown erzählte ihm auch von dem geheimen Gang, der von der Garage zu seinem Arbeitszimmer führte und auf dem Leute in sein Haus kamen, die das Tageslicht zu scheuen hatten. Sie zeigte ihm ein Foto des Mannes, auf dem eine sehr intime Widmung stand. Für sie war es eine Erlösung, daß sie mit dem Hexer zusammenkam, denn sie mußte einen Menschen haben, dem sie all ihr Herzeleid anvertrauen konnte und der ihr aufmerksam und verständnisvoll zuhörte.
Mr. Orsan wohnte in einer prächtigen Villa in der Nähe des Hyde-Parks. Um sein Geschäft kümmerte er sich nicht besonders. Er brachte täglich nur zwei Stunden in seinem Hauptbüro zu und diktierte unangenehme Briefe an die Chefs der einzelnen Abteilungen.
Die andere Zeit verbrachte er gewöhnlich in seinem Haus, von dem aus man einen herrlichen Ausblick auf grüne Wiesen und schöne Baumgruppen hatte. Dort setzte er die Reden auf, die er in den verschiedenen Gesellschaften hielt.
Sein Arbeitszimmer war prachtvoll eingerichtet, und ein großer Marmorkamin schmückte die eine Wand. Er hielt viel auf Repräsentation, und seine Diener trugen glänzende Livreen mit Kniehosen und goldenen Tressen.
Eines Tages wurde ihm Chefinspektor Bliss gemeldet.
»Zum Teufel, was will denn dieser Polizeibeamte? Lassen Sie ihn nähertreten, Thomas.«
Er ärgerte sich sofort über Bliss, weil ihm dieser nicht so respektvoll entgegentrat wie die Leute, mit denen er sonst zusammenkam. Er sah in dem Chefinspektor nur einen Angestellten des Staates, dem man keine große Beachtung zu schenken brauchte.
Bliss legte seinen Hut beiseite und nahm Platz, ohne dazu aufgefordert zu sein.
»Sie sind wahrscheinlich gekommen, um wegen der Unterschlagung, die mein Kassier begangen hat, mit mir zu sprechen?« fragte Mr. Orsan herablassend. »Für derartige Sachen habe ich keine Zeit. Da müssen Sie sich schon an meinen Geschäftsführer wenden – «
»Sie irren sich, Mr. Orsan. Ich habe Sie aufgesucht, weil ich mit Ihnen über einen Brief sprechen wollte, den Sie an die Redaktion des >Megaphon< geschrieben haben. Er handelt von Verbrechern im allgemeinen und fordert schwerere Strafen für sie.«
Mr. Orsan lehnte sich in seinen Sessel zurück und legte die Fingerspitzen zusammen. Dann nickte er verbindlich, denn es schmeichelte ihm, daß man sich in Scotland Yard um seine Ansichten kümmerte.
»Ach ja, den Artikel hatte ich schon ganz vergessen. Ich glaube, Sie geben mir vollkommen recht? Meine Anschauung über diese Leute ist – «
»Das kümmert mich im Augenblick sehr wenig«, entgegnete Bliss unliebenswürdig.
Mr. Orsan liebte es nicht, daß man ihn unterbrach, und er warf dem Chefinspektor einen feindseligen Blick zu.
»In Ihrem Artikel haben Sie auch den Hexer erwähnt. Sie sagen, man müsse die Polizei tadeln, weil sie diesen Verbrecher unbehelligt lasse.«
»Das ist auch vollkommen meine Meinung«, erwiderte Mr. Orsan mit Nachdruck. »Wahrscheinlich war es Ihnen unangenehm, daß das in der Zeitung stand. Aber da kann ich Ihnen nicht helfen. Ich habe eben meine Ansicht frei ausgesprochen, und ich glaube, daß ich dem Interesse der Allgemeinheit damit gedient habe.«
Bliss lachte.
»Es mag anderen Leuten ja ganz interessant sein, Ihre Ansichten zu lesen, aber wir kümmern uns nicht darum. Wir sind es gewohnt, daß man uns Vorwürfe macht, und ich bin nur zu Ihnen gekommen, um Sie zu warnen. Es ist nämlich sehr gefährlich, die Aufmerksamkeit des Hexers auf sich zu lenken. Außerdem haben wir in Erfahrung gebracht,
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